Valley - Tal der Wächter
brüchiger, kaum zu verstehender Stimme.
Man hörte den Regen auf das Laubdach trommeln. Das Pferd tänzelte unruhig. Aus dem Wald ertönte kein Hundegebell, aber die Verfolger konnten nicht mehr weit sein.
Die Reiterin warf ihm einen flüchtigen Blick zu und schaute sofort wieder weg. Dann zog sie an den Zügeln, und das Pferd setzte sich wieder in Bewegung, wobei es mit den Vorderhufen vorsichtig über Hals Beine stieg.
»Ich bin’s,Aud! Hal Svensson!«VollerVerzweiflung stützte er sich auf einen Ellbogen und versuchte aufzustehen. »Bitte halt an!«
»Hal...?« Das Pferd blieb stehen. Das Mädchen brach unvermittelt in Gelächter aus, rau wie Fuchsgebell. »Bei Arne, er ist es tatsächlich! Was in aller Welt treibst du da?« Es klang belustigt, aber auch ein wenig unecht, und es schwang ein argwöhnischer Unterton mit.
Hal kam unbeholfen auf die Beine. »Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe.«
»Das Pferd hat sich erschreckt, ich nicht. Ich habe bloß geschrien, damit es sich wieder einkriegt.« Sie trug das regenfeuchte Haar offen und war blasser, als er es in Erinnerung hatte, aber das konnte auch am Licht liegen. Sie saß aufrecht im Sattel und hielt die Zügel zum Weiterreiten bereit. Er spürte, dass sie angestrengt zu begreifen versuchte, was eigentlich los war. »Bei Arne«, sagte sie wieder, »du siehst ja grauenhaft aus... und völlig abgemagert!«
»Na ja, ich habe in letzter Zeit nicht allzu viel gegessen.« Ein Laut war von weiter oben im Unterholz zu hören und er fuhr herum. »Hör mal...«
»So wie du müffelst, hast du dich auch schon ewig nicht mehr gewaschen«, fuhr das Mädchen fort. »Hast du gesehen, wie sich die Stute aufgebäumt hat, als sie dich gewittert hat? Beim letzten Mal, als sie sich so aufgeregt hat, lag mitten auf dem Weg ein toter Bär, und der hat nicht halb so schlimm gestunken wie du, obwohl er schon mindestens eine Woche dort gelegen haben musste. Das Vieh war schon ganz aufgedunsen und matschig und voller Fliegen.«
»Ja, gut möglich. Du, Aud...«
»Also noch einmal:Was treibst du hier, Hal?« Sie sprach ähnlich herablassend wie bei ihrer ersten Begegnung im Obstgarten.
Hal drehte sich wieder nach dem Wald um. Er hatte wirklich keine Zeit mehr zu verlieren.Trotzdem spürte er, dass er Aud nicht drängen durfte. Er kannte sie nicht gut genug, um sich ihr anzuvertrauen.Wenn sie Angst vor ihm bekam oder die Nerven verlor, würde sie einfach davonreiten und ihn stehen lassen. »Hör mal, Aud, das kann ich dir hier und jetzt nicht erklären, aber du weißt doch noch, dass du gesagt hast, ich darf dich mal besuchen kommen, oder? Und jetzt... na ja, ich dachte mir, ich nehme dich einfach mal beim Wort. Aber vielleicht können wir vorher...«
»Was war das?« Auch Aud wandte den Kopf dem Wald zu.
Hal holte tief Luft. »Das sind Hunde. Jagdhunde. Ich werde verfolgt.«
»Von wem?«
Er zögerte. »Ach, von irgendwem.«
Aud musterte ihn abschätzig, rückte ihre Kapuze zurecht und zog den Mantel enger um sich. »Von irgendwem?«
»Ja.«
Eine Haarsträhne, die sich aus der Spange gelöst hatte, fiel ihr über die Wange. Sie pustete sie weg und sah ihn wieder an. »Könntest du das bitte etwas näher erklären?«
Hal trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und sah sich immer wieder um. »Offen gestanden handelt es sich um eine persönliche Angelegenheit, die ich lieber für mich behalten würde, statt sie überall herumzuerzählen. Aber ich wäre dir außerordentlich dankbar, wenn du mir aus dieser schwierigen Lage heraushelfen könntest und...«
»Schön für dich«, schnitt ihm Aud das Wort ab. »Dann will ich dich nicht länger aufhalten. Du hast bestimmt noch eine lange Flucht vor dir.Wenn ich dir raten dürfte, wieder ostwärts zu humpeln und den Besitz der Arnessons zu verlassen? Ich will nicht, dass auf unserem Land Blut vergossen wird. Leb wohl.«
Das Pferd setzte sich wieder in Bewegung. Diesmal warf sich Hal förmlich vor die Hufe und sprudelte drauflos: »Es sind die Hakonssons! Die ganze Bande... jedenfalls fast! Wenn sie mich kriegen, hängen sie mich am höchsten Baum auf! Bitte hilf mir, Aud, und ich schwöre, dass ich auf ewig in deiner Schuld stehe!«
Das Mädchen hob die Augenbrauen und grinste verschmitzt. »Ich muss gestehen, dass du mich neugierig machst. Was hast du denn jetzt schon wieder angestellt, dass sie so schlecht auf dich zu sprechen sind?«
Irgendwo zwischen den Bäumen oben auf der Anhöhe ertönte wüstes Gebell,
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