Valley - Tal der Wächter
abschreckend.
Weiter vorn beim Tor beschrieb die Mauer eine Biegung. Dort sah man Fackelschein tanzen. Die Fackeln fanden zueinander und trennten sich wieder. Außerdem wurden es immer mehr und das verhieß gewiss nichts Gutes. Um den Fackelschein herum loderte lautlos und unheilvoll ein noch hellerer rötlicher Schein empor, beleuchtete die Bauernhütten und, Unheil verheißend, auch einen Galgen, der auf der Mauer errichtet war. Nun teilten sich die Fackeln auf, manche bewegten sich nach links, andere nach rechts an der Mauer entlang. Man hörte barsche Befehle, das Knallen von Stiefelabsätzen und ungeduldiges Hundegejaul.
Hal machte »Uff!« und drehte sich noch einmal um. Die Lichter und schemenhaften Gestalten kamen in seine Richtung.
Um sein Gesicht zu verstecken, setzte er die Kapuze auf, trat an die Mauerkante und spähte abwägend in die Tiefe. Dort war es undurchdringlich rabenschwarz. Man hörte nur leise den Regen auf eine Wasseroberfläche pladdern. Hal kaute unschlüssig auf seiner Unterlippe.
Da splitterte neben ihm ein Stück Mauer ab und traf ihn dicht unter dem Auge auf die Wange. Ein zerbrochener Pfeilschaft schlitterte auf der Mauer entlang.
Hal machte die Augen zu, nahm Anlauf und sprang.
Eigentlich ging es ganz schnell, aber es kam ihm vor, als hinge er ewig in der Luft, so deutlich nahm er sein eigenes Gezappel und Gestrampel wahr, den Luftzug, der ihm von unten entgegenwehte, seinen Magen, der Übelkeit erregende Purzelbäume schlug, das Bündel, das auf seinem Rücken schlenkerte, sein Haar, das hinter ihm herwehte, und das alles ging trotzdem viel zu schnell, als dass er sich hätte zurechtfinden können, bis er dann schließlich doch auf die Wasseroberfläche aufschlug und gurgelnde Dunkelheit ihn umschloss.
Er bekam keine Luft mehr und eisige Schwärze verschlang ihn.
Regen, Lichter, Glocken, Geräusche – verloschen, verstummt.
Mit aufgerissenen Augen und erhobenen Armen sank Hal lautlos in die Tiefe.
EIN BAUER DROBEN IM TIEFTAL hatte drei Töchter. Eines Tages suchte Sven ihn auf, denn er war auf Brautschau. Er fand die Mädchen mit ihren langen, duftenden Haaren und kräftigen Hinterteilen alle drei recht ansehnlich. Die Entscheidung fiel ihm schwer.
Darum sagte Sven: »Ich will dem Troldkönig in seiner Halle einen Besuch abstatten. Was soll ich euch mitbringen?«
»Gold und Silber«, antwortete die Älteste, »dann lasse ich mir daraus ein schönes Halsgeschmeide machen.«
»Einen Kochtopf und einen Schöpflöffel«, antwortete die Mittlere, »denn meine sind entzweigegangen.«
Die Jüngste lächelte. »Ach, nur eine hübsche kleine Blume aus dem Hochmoor, die ich anschauen kann, wenn ich an dich denke.«
Sven machte sich auf den Weg. Es war das zweite Mal, dass er den Troldkönig aufsuchte. Diesmal wagte er sich weiter in dessen Halle hinein als beim ersten Mal, vorbei an der Feuerstelle und den von der Decke baumelnden Knochen, geradewegs in die Schlafgemächer der Trolde. Sie schlummerten tief und fest in ihren Felsmulden und -spalten und er konnte eine beträchtliche Anzahl von ihnen erschlagen. Dann kam er an eine Treppe, die noch tiefer unter die Erde führte, aber er war schon spät dran, darum sah er sich um, entdeckte Gold, Silber, einen Kochtopf und einen Schöpflöffel und ging wieder. Draußen im Moor pflückte er noch eine Blume. Bei seiner Rückkehr auf den Hof schenkte er allen drei Bauerntöchtern, worum sie ihn gebeten hatten.
»Hast du dich inzwischen entschieden, welche von uns du zur Frau nehmen willst?«, fragten sie.
»Ja«, antwortete Sven. »Du, die Älteste, bist zweifelsohne eine eitle Schlampe, wogegen du, die Jüngste, mir viel zu verträumt bist. Ich nehme dich, die Mittlere, denn du scheinst mir tüchtig und vernünftig zu sein.« Und so kehrte er mit der mittleren Schwester heim und sie war ihm ein prächtiges Eheweib.
Das war Svens zweiter Besuch in der Halle des Troldkönigs.
TEIL III
14
Beim Tod seines Vaters war Sven noch nicht ganz sechzehn Jahre alt, aber als er seine Nachfolge antrat, merkten die Leute sofort, dass jetzt ein anderer Wind wehte. Als Erstes ließ er sie alle im Hof antreten.
»Schaut euch um«, sagte Sven. »Was seht ihr? Ärmliche Hütten und Kohlfelder, Matsch und Misthaufen. Das wird sich ändern. Ich will unsere Familie zur einflussreichsten im ganzen Tal machen und dafür brauchen wir mehr Land. In unserer Nachbarschaft liegen viele andere Gehöfte, die müssen wir uns einverleiben. Darum nehmen wir
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