Valley - Tal der Wächter
äußerst wohlhabend.« Beim Sprechen schaute er immer wieder zur Tür, als könne er das Eintreffen der Angeklagten gar nicht erwarten.
Hals Mutter errötete angesichts der schlecht verhüllten Beleidigung. Hal dagegen, der sich fühlte, als hätte ihm jemand einen Hieb in den Magen versetzt, lächelte freundlich. »Ist es dort wirklich so komfortabel? Nach allem, was ich gehört habe, liegt das Haus in Schutt und Asche.«
Ulfar benetzte mit der rosigen Zungenspitze die Ränder seines Bartes. »Der Schaden beschränkt sich auf einen kleinen Teil der Halle. Aber woher weißt du denn davon... tut mir leid, aber ich habe vergessen, wie du heißt.«
»Hal Svensson. Ich bin heute als Zeuge geladen.«
»Richtig.« Ulfar musterte Hal gleichgültig. »Du bist ja der Zeuge. Jetzt fällt’s mir wieder ein.Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigt...« Er eilte wieder auf seinen Platz.
Astrid verzog das Gesicht. »Keine Frage, auf wessen Seite Ulfar heute steht! Macht und Wohlstand haben schon immer eine unwiderstehliche Anziehung auf ihn ausgeübt, darum lässt er seine Tochter auch bei den Hakonssons überwintern. Und wenn es nach ihm geht, wird dort nächstes Jahr Hochzeit gefeiert. Ist dir nicht gut, Hal? Du bist ein bisschen blass um die Nase.«
Hal hörte sie kaum. Aud würde also doch nicht kommen. Stattdessen würde sie bei Ragnar Hakonsson wohnen. Wie in einem Traum rief er sich Hords und Ragnars Unterhaltung in der Halle wieder in Erinnerung, als die beiden davon gesprochen hatten, für Ragnar eine vorteilhafte Heirat in die Wege zu leiten …
Leif verschränkte die Finger und ließ die Knöchel knacken. »Deine Unverschämtheit gegenüber Ulfar hat mir gar nicht gefallen, Hal. Wenn du dich nicht besser im Griff hast, sind wir aufgeschmissen.«
Hal riss sich zusammen. »Keine Bange, ich werde alle mit der größten Hochachtung behandeln. Ach übrigens, Mutter, wieso sitzt eigentlich diese plumpe Magd da drüben unter den Richtern? Warum verjagt sie niemand?«
»Das, mein Sohn, ist die berühmte Schiedsherrin Helga aus Thords Haus, die dem Rat dieses Jahr vorsitzt.«
»Ach so.«
An der Tür der Halle tat sich etwas. Ohne hinzusehen, spürte Hal, wie sich seine Schultern versteiften, er spürte die Anwesenheit seiner Feinde im Raum. Betont gelassen wandte er den Kopf und sah Hord und Ragnar Hakonsson an der Spitze einer Gruppe Männer aus Hakons Haus den Mittelgang entlangstolzieren. Beide trugen prächtige pelzverzierte Umhänge, beide hatten das Haar streng nach hinten gekämmt und mit edelsteinbesetzten Spangen zusammengefasst. Hord hakte seinen Mantel auf und hängte ihn schwungvoll über die Stuhllehne. Dann setzte er sich, klatschte scheinbar tatendurstig mit den Händen auf seine Knie und sah sich mit hochmütiger Miene um. Seine Leute bauten sich entlang der Wand auf. Ragnar kam hinterher, bekam seinen Mantel nicht auf und fummelte noch daran herum, als Helga Thordsson aufstand, um die Verhandlung zu eröffnen. Als sie ihn strafend anfunkelte, setzte er sich rasch hin.
Helga räusperte sich. Sie war eine kräftige, stattliche Frau mit einer beachtlichen Stimme. Alle hörten ihr aufmerksam zu. »Der Rat ist heute zusammengekommen, um über eine Klage zu entscheiden, die Svens Haus gegen Hakons Haus erhebt«, verkündete sie. »Drei Männer, Hord, Olaf und Ragnar, werden beschuldigt, direkt nach der Herbstversammlung Brodir Svensson ermordet zu haben. Lasst uns während dieser Verhandlung Würde und friedliche Zurückhaltung wahren, so wie es die ehrenvolle Tradition unseres Tals verlangt! Wir beginnen mit Astrid Svensson. Astrid, bitte fasse die Anklage zusammen.«
Hals Mutter stand auf und stellte die nackten Tatsachen sachlich und ohne sichtbare Gefühlsregung dar. »Mein Sohn Hal hat alles mit angesehen. Darf er als Zeuge aussagen?«
»Bitte sehr.«
Alle Blicke richteten sich auf Hal. Er holte tief Luft und verbeugte sich höflich vor dem Rat. »Ich gelobe, die Wahrheit zu sagen. Am Todestag meines Onkels, es war noch sehr früh am Morgen...«
Die Schiedsherrin der Gestssons, eine uralte, halb blinde Frau, schrumplig wie eine Winterbirne, pochte mit ihrem Stock auf den Boden. »Warum steht der Bengel am anderen Ende der Halle?«
Ulfar Arnesson beugte sich zu ihr hinüber. »Er steht nicht weit weg, er ist nur ein wenig kurz geraten.«
»Fahr fort, Hal Svensson«, sagte Helga Thordsson.
Hal schilderte das Geschehen, wie es seine Mutter von ihm verlangt hatte: knapp und sachlich, wobei er die
Weitere Kostenlose Bücher