Vampir-Expreß
Nacht, Wiedergänger, Blutsauger, unheimliche Wesen, die darauf warteten, sich auf Menschen stürzen zu können, um deren Blut zu trinken.
Sie hatten dem Vampir-Express ihren Namen gegeben. Und kein Mensch ahnte, in welcher Falle alle steckten, denn die Vampire dachten nicht daran, die Reisenden entkommen zu lassen. Ihre Wallfahrt zum Grab der Lady X sollte zu einem großen Triumph der Schwarzen Magie werden.
Die Särge standen nebeneinander. Die Deckenleuchte gab ihren schwachen Schein ab, so dass es wirkte, als würde die Lampe in ihren letzten Zügen liegen. Das Licht zuckte im Rhythmus der Schwingungen gespenstisch über die schwarzen Särge, die so sehr an Tod, Vergänglichkeit und Friedhof erinnerten.
In manchen Kurven stießen die Särge gegeneinander. Die Ruhe der Vampire wurde jedesmal unterbrochen, was ihnen jedoch nichts ausmachte.
Die Zeit verrann. Stunden reihten sich aneinander. Dass es draußen längst Tag geworden war und der Zug bereits durch Ungarn fuhr, davon merkten die fünf Blutsauger nichts. Sie blieben starr in ihren Totenkisten liegen. Und sie warteten ab und lauerten, denn ihre große Stunde würde noch während der Fahrt kommen.
Irgendwann am nächsten Tag.
Der Zug wurde langsamer. Wahrscheinlich würde er bald einen Bahnhof oder ein Wartegleis erreichen. Ein schriller Pfiff ertönte, und es gab einen Stoß, der sich durch sämtliche Wagen fortpflanzte, dann blieb der Zug stehen.
Ein gewaltiges Zischen war zu hören, die Dampflok gebärdete sich wie ein fauchender Tiger. Erste Fenster wurden nach unten gezogen, da die Reisenden sehen wollten, wo der Zug hielt.
Für die Blutsauger ging es darum, die Särge zu verlassen. Als hätten sie sich abgesprochen, so geschah bei allen fünf Totenkisten das gleiche. Von unten her, aus der Tiefe des Sarges, bekamen die Deckel Druck. Sie besaßen eine besondere Konstruktion, denn sie ließen sich auch von innen öffnen. Verschlüsse schnackten auf. Dumpfe Geräusche ertönten. Die Sargdeckel begannen zu zittern, sie schabten über die Unterteile, und erste Lücken entstanden.
Das schwache Licht fiel in die Särge hinein. Es war kein Sonnenlicht und konnte den Blutsaugern demnach nicht gefährlich werden. Die Deckel wurden nach hinten geschoben, den Fußenden zu. An den Kopfenden aber erschienen gekrümmte Hände, die sich um die Kanten schlossen und die Deckel noch weiterschoben, bis so große Öffnungen entstanden, dass die Vampire ihre unheimlichen Behausungen verlassen konnten.
Sie stiegen aus den Särgen.
Es war ein schauriges Bild, als die blutgierigen Monstren die Särge verließen, sich dabei aufrichteten, zuerst einmal hinsetzten, in die Runde schauten um sich danach anzublicken.
Allesamt besaßen sie schaurige Fratzen. Bleich wirkten sie. Bei manchen war die Haut dünn wie Pergament, bei anderen eingeschrumpft wie altes Leder. Man konnte sich kaum vorstellen, dass sie noch einmal glatt werden würde.
Gemächlich stiegen die Vampire aus den Särgen. Sie hatten Zeit. So wie immer. Ihnen standen die Jahrhunderte zur Verfügung. Es spielte keine Rolle, ob sie zehn oder 100 Jahre in finsteren Gruften zubringen würden, denn sie bezeichneten sich selbst als unsterblich. Wer sollte sie schon töten?
Die meisten Menschen glaubten nicht mehr an Vampire. Sie taten dies als reinen Aberglauben ab, und so etwas kam den Blutsaugern natürlich gelegen. Niemand jagte sie. Es gelang ihnen, die Zeiten zu überdauern, und sie hatten sich endlich gefunden, um in das Land zurückzukehren, aus dem sie einmal vertrieben worden waren.
Man konnte sie als Vampir-Emigranten bezeichnen. Rumänien hatte sie nicht mehr haben wollen. In alle Teile der Welt hatten sie sich verstreut und ein Dasein geführt, das sie selbst als vampirunwürdig bezeichneten. Bis sie irgendwann wieder Kontakt miteinander aufnahmen. Leider ein wenig zu spät, denn sie hätten sich gern der Lady X angeschlossen oder einem ihrer Vettern, dem Vampir-Baron von Leppe, der in der alten Heimaterde zurückgeblieben war.
Dies alles ging nicht mehr, die Zeit hatte sie überholt, aber sie wollten beweisen, dass es sie noch gab. Aus diesem Grunde fuhren sie wieder zurück, um als blutsaugende Wallfahrer Lady X zu beweisen, dass es den Vampirismus auch nach ihrer Vernichtung noch gab. Opfer wollten sie mitbringen. Sämtliche Reisende im Vampir-Express sollten ihnen gehören und sich am Grab der Lady X versammeln, um ihr allein zu huldigen. Man konnte hin und wieder einen von ihnen vernichten,
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