Vampir-Expreß
wahr?« fragte ich. Für diese Frage kassierte ich von Dragan einen bösen Blick.
Sie nickte. »Ja, ich trank Blut. Schon seit meiner Kindheit. Ich bekam es immer wieder, ohne eigentlich zu wissen, was man mir da gab. Erst später hat man mich darüber aufgeklärt, aber da hatte ich mich daran gewöhnt.«
»Ist das wirklich wahr?« flüsterte der junge Rumäne. Er hatte eine Gänsehaut bekommen.
»Wenn ich es Ihnen sage.«
»Aber weshalb? Warum mussten sie Blut trinken? Hat man Sie einfach so daran gewöhnt?«
»Das auch. Es gibt noch eine schlimmere Erklärung. Tante Ada sagte mir, dass alle aus der Familie Blut getrunken haben. Einige sogar von einem lebenden Menschen.« Sie hob den Kopf und schaute mich starr an. »Wissen Sie, was das bedeutet?«
Ich nickte langsam. »Ja, das weiß ich genau. Wer das Blut eines lebenden Menschen trinkt, ist ein Vampir.«
»Genau.«
»Sind Sie keiner?«
Für einen Moment hielt sich ihr Blick noch. Dann senkte sie den Kopf und begann zu weinen. »Ich weiß es nicht, Monsieur Sinclair. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Lassen Sie es zu, wenn ich einen Test mit Ihnen durchführe, Vera?«
»Wie denn?«
»Das werden Sie schon sehen.«
»Muss das sein?« mischte sich Dragan ein. Er nahm das Mädchen in Schutz. Wahrscheinlich hatte er Gefallen an Vera gefunden, aber er musste auch damit rechnen, einen Vampir vor sich zu haben. Aus diesem Grunde wollte ich den Test starten und sichergehen. Ich holte mein Kreuz hervor.
Aus staunenden Augen wurde ich beobachtet, und Dragan fragte leise:
»Gütiger Himmel, wo haben Sie das denn her?«
»Spielt im Augenblick keine Rolle«, erwiderte ich und reichte Vera das Kreuz.
Sie musste es genau ansehen, auch die eingravierten Zeichen, aber in ihrem Gesicht entdeckte ich keine Reaktion. Nur die Augendeckel bewegten sich. Für mich ein Beweis, dass sie nervös war.
»Sie wissen, was das ist?« fragte ich.
»Was soll denn der Unsinn?« mischte sich Dragan ein »Natürlich…«
»Seien Sie ruhig«, sagte ich mit leiser, dennoch scharfer Stimme. »Sie wissen, was das ist, Vera?«
»Ja«, hauchte sie. »Ein Kreuz.«
»Haben Sie schon öfter mit Kreuzen zu tun gehabt?«
»Nein, Monsieur, so etwas gibt es in unserer Wohnung nicht. Das wurde verbannt.«
»Fürchten Sie sich vor dem Kreuz?«
»Es ist so seltsam.«
»Aber Sie haben keine Angst?«
Veras Mundwinkel zuckten. Dann hob sie die Schultern. »Ich… ich weiß nicht so recht«
Ich nickte. »Okay, wenn Sie keine Angst haben, Vera, dann fassen Sie es bitte an. Nehmen Sie es mir aus der Hand. Kommen Sie, Sie brauchen sich nicht zu fürchten!«
Ihre Haltung versteifte sich noch mehr. »Ich habe noch nie in meinem Leben…«
»Machen Sie schon!«
Tief atmete sie ein. Bisher hatten ihre Hände nahe der Tischkante gelegen. Nun schob sie den rechten Arm langsam vor. Noch war die Hand zur Faust geschlossen. Je näher sie allerdings dem Kreuz kam, um so mehr öffnete sie sich.
»Nehmen Sie es!« drängte ich.
Da berührten sich unsere Hände. Meine Fingerspitzen tippten gegen ihre Faust. Sie zuckte für einen Moment zurück, aber sie öffnete sich.
»Und nun das Kreuz!« flüsterte ich. Mir war es egal, dass man uns beobachten konnte, ich musste den Test einfach versuchen. So eine Gelegenheit bekam ich wohl nicht wieder. Hoffentlich blieb Ada weg. Vera griff zu. Ich fühlte ihre Hand auf der meinen. Zwischen uns befand sich das Kreuz. Beide berührten wir es jetzt. Beide spürten wir das warme Metall.
Wenn Vera tatsächlich ein Vampir war, hätte sie jetzt schreien müssen oder wäre vergangen.
Nichts davon geschah.
Sie blieb sitzen. Ruhig, steif wie eine Puppe. Die Augen weit geöffnet, den Blick in unendliche Fernen gerichtet. Dabei stand ihr Mund offen. Langsam zog ich meine Hand weg. Dabei drückte ich das Kreuz hoch, gegen Veras Handfläche, und sie griff zu.
Plötzlich hielt sie es fest.
Also doch! Ein befreiter Atemzug drang aus meinem Mund. Auch der junge Mann atmete auf, schüttelte gleichzeitig den Kopf und produzierte ein Lächeln.
Vera aber starrte das Kreuz an. Ihre Lippen bewegten sich. Kaum hörbar drangen die nächsten Worte aus ihrem Mund. »Ich kann es anfassen«, flüsterte sie. »Ich… ich gehöre nicht zu ihnen, obwohl ich Blut trinken musste. Ich bin kein Vampir.«
»Das sind Sie sicherlich nicht, liebe Vera«, bestätigte ich mit leiser Stimme.
»Aber sie hat immer gesagt, dass ein Kreuz etwas Furchtbares und Schlechtes ist. Seit meiner Kindheit spricht
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