Vampir-Legende
So etwas hatte gerade bei den stolzen Südstaatler-Familien tiefe Wunden hinterlassen, die auch nach mehr als hundert Jahren noch nicht verheilt waren. Noch etwas ärgerte den Sheriff.
Man hatte ihm zwar gesagt, was er tun sollte, aber man hatte ihn nicht in die Details eingeweiht. Das paßte ihm überhaupt nicht, denn ein Sheriff war so etwas wie ein kleiner Herrgott. Er hatte zu sagen und brauchte keine Befehle anzunehmen.
Im Wagen war es warm, und deshalb hatte er das Fenster herabfahren lassen. Die Luft streichelte sein Gesicht und glitt auch über die Schweißperlen auf seiner Stirn hinweg. Sie roch alt und feucht. Er stellte wieder einmal fest, daß es für diese Jahreszeit viel zu warm war, aber auf das Klima konnte man sich nicht mehr verlassen. Ebensowenig wie auf die Menschen, die ihn immer wieder enttäuschten.
Zuletzt noch seine Frau, die kurzerhand von einem auf den anderen Tag verschwunden war. Sie hatte ihn verlassen, war in eine Großstadt gefahren, um dort ein Leben zu führen, das nicht von Enge, Spießigkeit und von Mief geprägt war. Sie wollte zunächst einmal nicht die Scheidung, aber sie brauchte Abstand, auch von ihrem Mann, der hier geboren war.
Ducesse stöhnte auf. Die Weiber, dachte er, kein Verlaß mehr auf sie.
Das hatte es früher nicht gegeben. Wenn er da an seine Mutter dachte, sie hatte immer an der Seite seines Vaters gestanden, und es war für sie nicht leicht gewesen, mit einem jähzornigen Polizisten zu leben, der zudem noch für einige Jahre dem Klan angehört hatte und sich immer davor hatte fürchten müssen, enttarnt zu werden.
Gary kam ganz auf seinen Vater. Er war ebenso breit und massig, ebenso hellhäutig. Selbst im Denken waren sie sich ziemlich gleich, aber das gab der jetzige Sheriff öffentlich nie zu.
Er wartete.
Er fluchte, und er stellte sich dabei diese beiden Brüder vor, die er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Diese Weichlinge, die aussahen, als stammten sie aus dem letzten Jahrhundert und wären aus dieser Zeit zurückgekehrt. So wie sie sich kleideten, lief man heute nicht mehr herum. Das paßte einfach nicht in die Zeit.
Es war dem Sheriff nicht gesagt worden, wie lange er das Haus beobachten sollte, und er würde sich hier auch keine Stunden aufhalten, das stand fest. Noch vor dem Mittag würde er in die Stadt fahren und einen anderen mit der Observierung beauftragen.
Hin und wieder hob er das Glas und holte die breite Fassade nahe heran.
Das Haus war prächtig, es gefiel ihm, aber ihm gefiel nicht, daß tagsüber die Vorhänge zugezogen waren. Wer das tat, hatte etwas zu verbergen.
Neugierig war der Sheriff schon immer gewesen. Ihn drängte es, nachzuschauen, was sich hinter den Vorhängen abspielte. Dabei stellte er sich die ungewöhnlichsten Szenen vor, wobei die meisten davon mit Sex zu tun hatten.
Diese beiden Typen waren zwar nicht sein Fall, er sah sie sogar als schwul an, komischerweise aber flogen manche Frauen auf sie, und das konnte Ducesse nicht begreifen. Sicherlich würden ihnen die Frauen auch in dieses Haus folgen, und er schüttelte sich, wenn er daran dachte. Zugezogene Vorhänge…
Konnten sie deshalb geschlossen worden sein, damit niemand sah, welche heimlichen Orgien sich dahinter abspielten?
Der Sheriff leckte über seine Lippen. Er brauchte mal wieder einen spektakulären Fang, um in die Zeitungen zu kommen und in die regionalen TV-Sender.
Wäre das nichts, wenn es ihm gelänge, eine dieser Lasterhöhlen auszuheben?
Es wäre super gewesen. Nicht, daß er diese Orgien haßte, aber er war frustriert darüber, daß man ihn nie dazu einlud, denn er hätte für sein Leben gern mitgemacht. Wenn schon nicht auf diese Art und Weise, dann eben auf die andere.
Der Gedanke setzte sich immer stärker in seinem Kopf fest. Er kannte sich selbst sehr gut. Irgendwann würde er soweit sein, daß er seine Order über Bord warf und allein die Verantwortung übernahm.
Noch einmal hob er das Glas an.
Sehr nahe befanden sich die Fenster vor ihm. Er schaute nach rechts.
Fenster für Fenster wanderte durch sein Blickfeld, und überall waren die Vorhänge von innen zugezogen.
Oder?
Einer bewegte sich.
Ein kleiner Spalt entstand, eine schmale Öffnung. Keine Täuschung und auch nicht durch den Wind bewegt. Ein Spalt, durch den er in das Zimmer schauen konnte.
Ducesse war plötzlich aufgeregt. Er kaute, ohne zu essen, und er glaubte auch, die beiden Gestalten hinter dem Spalt erkannt zu haben.
Sie schauten ebenfalls in seine
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