Vampir sein ist alles
William. Wir gingen durch die Tür, durch die auch Jorge das Krankenhaus verlassen hatte.
„Was soll das heißen?“ Ich schirmte die Augen gegen die Sonne ab, um William anzusehen. Er führte mich die Straße hinunter, vorbei an einer Gruppe Raucher in bunt gemusterten Kitteln.
„Ich habe die Haken überprüft, als du weg warst. Die Decke auch. Ich meine, es ist schon merkwürdig, dass dir dieses Windspiel einfach so auf den Kopf gefallen ist, und da habe ich mir Sorgen gemacht, dass die Decke vielleicht durch einen Wasserschaden oder so etwas aufgeweicht wurde.“
Ich nickte. Daran hatte ich auch schon gedacht.
„Aber die Decke ist völlig in Ordnung. Ich habe keine Ahnung, wie das Windspiel sich lösen konnte. Der Befestigungsdraht muss irgendwie abgerissen sein, doch dann hätte der Rest davon eigentlich noch an dem Haken hängen müssen, was nicht der Fall war.“
„Hast du dir die Sache denn nicht genauer angesehen?“
William schnaubte. „Was sollte ich mir denn da ansehen? Das komplette Ding ist geschmolzen.“ Ich musste ihn offenbar etwas verwirrt angesehen haben, denn er erzählte mir die Geschichte von Anfang an. „Also, das war so, Garnet. Diese Lady und ich haben versucht, dich von dem Windspiel zu befreien, und dann - kawumm! - ist es einfach so in eine Million Teile explodiert. Die Lady geht an die Tür, um nach dem Krankenwagen zu sehen, und dann hast du
mich auf einmal mit knallroten Augen angesehen, mit einem total unheimlichen Grinsen im Gesicht, und danach bist du ohnmächtig geworden. Rote Augen, Garnet! Dämonenaugen! Das ist nicht gut.“
Lilith. Es überraschte mich, dass SIE nicht viel mehr Schaden angerichtet hatte, denn SIE übertrieb es meistens mit IHREN Bemühungen, mich zu „retten“.
„Und weißt du, was noch verrückter ist?“, fuhr William fort. „Der Draht, der ist komplett geschmolzen, aber als er explodiert ist, hat kein einziger Tropfen von dem heißen Metall mich oder die Lady getroffen. Kein einziger Tropfen!“
„Dann hast du Lilith wohl endlich persönlich kennengelernt“, sagte ich. Meine Stimme klang heiser und kratzig, wie am Morgen nach einem Rockkonzert. „Ich glaube, SIE mag dich auch.“
„Wie Jorge?“
„Nun, SIE hat dir nichts getan. Das ist unglaublich!“
William, der im Begriff gewesen war, etwas zu sagen, hielt inne und starrte mich an. Eine ganze Weile kam nichts Vernünftiges aus seinem Mund heraus, nur eine Folge von Ähs, Ohs und Hms. Es machte ihn wohl etwas nervös, auf diese Weise in den Genuss von Liliths Aufmerksamkeit gekommen zu sein.
Wir waren mitten in der Hauptverkehrszeit. Auf der Straße reihte sich ein Auto an das nächste, und es stank übel nach Abgasen. Die Hitze war erdrückend, und die struppigen Ginkgobäume am Straßenrand boten nur wenig Schutz vor der Sonne.
Zwei Blocks weiter blieb William vor einem königsblauen Prius Hybrid stehen. Unter dem Scheibenwischer klemmte ein Strafzettel. „Total verrückt“, murmelte William und steckte den rot gestreiften Umschlag geistesabwesend in die Tasche.
Er entriegelte die Türen per Fernbedienung, nahm einen Stapel Bücher aus der Leihbücherei vom Beifahrersitz und verstaute sie auf der Rückbank. Ich ließ mich vorsichtig auf den Sitz sinken. Am Rückspiegel baumelte ein lindgrüner Plastik-Alien mit Riesenaugen.
William traf in aller Ruhe die Vorbereitungen zum Fahren. Er legte seinen Sicherheitsgurt an, prüfte, ob der Spiegel richtig eingestellt war, und steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Ich vergaß immer, was für ein besonnener Autofahrer er war. Jeden einzelnen Schritt führte er ganz bewusst aus, wie beim ersten Mal oder bei der Führerscheinprüfung.
Nachdem ich mich angeschnallt hatte, schloss ich die Augen und lehnte mein müdes Haupt gegen die Kopfstütze. William dachte offensichtlich über seine Begegnung mit Lilith nach, denn er schwieg vor sich hin. Er war noch in der „Verdauungsphase“, wie ich es immer nannte: Erst schwieg er lange und nachdenklich, dann platzte er auf einmal mit einer Frage oder einem Kommentar heraus. Danach hüllte er sich wieder in Schweigen, bis das nächste Statement ausgebrütet war.
Ich lauschte schläfrig dem leisen Brummen des Motors. Als wir eine Weile gefahren waren, sagte William plötzlich: „SIE ist furchterregend.“
Ich öffnete die Augen einen Spalt. „Lilith, meinst du? Ja, ein bisschen.“
„Nein, sehr.“
„Was hast du erwartet?“, fragte ich. Ich hatte schon so oft mit ihm über Lilith
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