Vampir sein ist alles
bist hinter irgendetwas her. Wenn es nicht um mich geht, warum begegne ich dir dann jetzt schon zum wiederholten Mal?“
Micahs Miene verfinsterte sich, und in seiner Wange zuckte ein Muskel. „Ich will etwas, das du hast. Und du wirst es mir geben.“
Plötzlich stand Marge neben mir. „Hey“, sagte sie. „Wie läuft’s?“
Micah und ich sahen sie giftig an - nach dem Motto: Hallo, wir unterhalten uns gerade! Merkte sie denn nicht, dass wir mitten in einer Diskussion waren? Da fiel mir wieder ein, dass es mit Marges Sozialkompetenz nicht weit her war.
„Meine Großmutter hat mir erzählt, wir haben irgendwo im Familienstammbaum auch Indianer“, sagte sie zu Micah.
Wie peinlich! Ich kniff mir in den Nasenrücken.
„Cool“, entgegnete Micah ohne das kleinste Anzeichen von Verärgerung. Er schnappte sich das Tablett mit den Kräckern und ging damit in die Küche, als hätte er es schon die ganze Zeit wieder auffüllen wollen.
Sauberer Abgang.
Ich beneidete ihn.
Und prompt begann Marge, mir ihre komplette Familiengeschichte zu erzählen. Ich versuchte, von ihr loszukommen, aber sie folgte mir und redete unaufhörlich auf mich ein. Ich war zwischen zwei Sofas eingekeilt, als Micah wieder aus der Küche kam. Er mampfte genüsslich eine Scheibe frisches Brot und zwinkerte mir verschwörerisch zu.
Bevor Marge allzu weit über Großtante Tillie (oder wie sie noch hieß) hinausgelangen konnte, trommelte William wieder alle zusammen. Es kam zu einer neuen Sitzordnung, und ich fand einen Platz auf dem Boden und lehnte mich mit dem Rücken gegen das Bücherregal. Micah saß mir gegenüber auf der Couch und grinste mich an. Neben ihm hatten Marge und ihr Freund Max Platz genommen. Mir fiel auf, dass Marge Micah immer wieder verstohlen musterte und unauffällig etwas näher an ihn heranrutschte. Als sich unsere Blicke kreuzten, warf ich ihr ein schwesterliches „Nichts-wie-ran!“-Lächeln zu. Marge riss die Augen auf, als hätte ich sie bei etwas Verbotenem erwischt. Max hörte William aufmerksam zu und machte sich Notizen. Er schien nicht mitzubekommen, was neben ihm vorging, vielleicht interessierte es ihn auch nicht. Als Marge schuldbewusst von Micah abrückte, schloss ich daraus, dass sie und Max mehr als nur Freunde waren.
William fing von dem Terminplan für unsere Treffen an und fragte nach Freiwilligen für Snacks, und ich nutzte die Gelegenheit, um Micahs Aura zu überprüfen.
Ich wurde von grellem Licht geblendet und zog instinktiv den Kopf ein. Wahrscheinlich gab ich dabei auch irgendein komisches Geräusch von mir. Ich weiß nur, dass ich einen Moment lang dachte, die Sonne wäre explodiert oder das Haus stünde lichterloh in Flammen.
Als ich merkte, dass ich noch lebte, richtete ich mich langsam wieder auf. Alle starrten mich an. Micah legte den Kopf schräg und taxierte mich neugierig.
„Äh, wie sieht es denn aus, Garnet?“, fragte William. „Meinst du, Sebastian hat ein Problem damit, unser nächstes Treffen bei sich zu Hause auszurichten?“
War das gerade das Gesprächsthema gewesen? Ich rieb mir die Augen. Mir war, als müssten kleine Punkte vor meinen Augen tanzen, aber es hatte ja gar keine echte Lichtexplosion gegeben. „Ich denke, nein“, entgegnete ich. „Ich meine, wenn er bis dahin zurück ist. Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, wo er steckt.“
Ich weiß nicht, warum ich Letzteres überhaupt erwähnte. Vielleicht hoffte ich, dass jemand von den Anwesenden einen Tipp für mich hatte, vielleicht suchte ich aber auch nur ein bisschen Mitgefühl.
Und das wurde mir auch zuteil. Alle zeigten sich sehr besorgt und fragten mich, wann ich ihn zuletzt gesehen hatte und ob so etwas häufiger bei ihm vorkam. Ich sagte ihnen die Wahrheit und erzählte sogar von meinem Überraschungsbesuch bei Larry und Walter. Meine Angst, dass Sebastian mit einer Blutspenderin durchgebrannt war, ließ ich allerdings unerwähnt, weil ich nicht eifersüchtig erscheinen wollte, und abgesehen davon wollte ich nicht in aller Öffentlichkeit
schmutzige Wäsche waschen. Außerdem glaubte mir sowieso keiner, dass Sebastian ein echter Vampir war.
Marge, deren Feingefühl wirklich zu wünschen übrig ließ, zeigte auf meinen Verband und fragte: „Habt ihr euch gestritten oder so?“
Angesichts der Umstände war die Frage eigentlich gar nicht so unberechtigt, doch ich war es leid, dass die Leute so etwas wie eine misshandelte Ehefrau in mir sahen. „Ich weiß, ihr glaubt mir nicht, aber das hier hat
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