Vampir sein ist alles
Gesicht, doch statt Schuld sah ich nur Besorgnis. „Verschwunden? Seit wann?“
„Seit Mittwoch“, entgegnete ich.
„Kommt doch bitte rein!“ Traci trat zur Seite und ließ uns ins Haus, in dem es angenehm kühl war. Die Einrichtung war ziemlich ... weiß. Böden und Treppe waren mit makellosem Teppich in strahlendem Ecru ausgelegt. Die großen Räume mit den beige gestrichenen Wänden wirkten trotz des schicken Mobiliars und der Kristallglaslampen ziemlich leer.
Alison folgte mir, ohne auch nur ein Wort von sich zu geben.
„Ein wunderschönes Haus“, sagte ich und hoffte, es klang überzeugend. Die Räume schienen frisch renoviert zu sein; es roch nach Teppichkleber oder Trockenbauspachtel oder so etwas.
Traci lachte. „Willst du es haben? Ich verkaufe es. Morgen gehe ich zum Makler. Es hat meiner Mutter gehört. Ich habe bis zu ihrem Tod in der Garagenwohnung gelebt.“
„Oh, mein aufrichtiges Beileid“, sagte ich.
„Sie ist neunzig Jahre alt geworden und hat bis zuletzt zu Hause gewohnt. Das war ein ziemlich gutes Leben, würde ich meinen.“
„Ja“, entgegnete ich leise, dachte jedoch unwillkürlich daran, dass es sehr schwer sein musste, mit Sebastians Unsterblichkeit klarzukommen, wenn man gerade jemanden verloren hatte.
„Hm-hm“, machte Alison, der die Begegnung mit Traci offenbar die Sprache verschlagen hatte. Ich hatte zugegebenermaßen auch nicht mit einer Frau gerechnet, die vom Alter her meine Mutter sein konnte, doch Sebastian war ja nun auch nicht mehr der Jüngste.
Traci führte uns in die Küche, die im Unterschied zum restlichen Haus bewohnt wirkte. In der Spüle stand schmutziges Geschirr, und auf dem Tisch lagen Autoersatzteile. Der Geruch von starkem schwarzem Kaffee lag in der Luft. Ich versuchte mir vorzustellen, wie Sebastian an diesem Tisch saß, was mir leider überhaupt nicht schwerfiel; vor allem, weil überall Oldtimerzeitschriften herumlagen.
„Wo ist er?“, fragte Alison. „Was hast du mit Sebastian gemacht?“
Traci und ich sahen sie entgeistert an.
Und schon legte Alison los. „Guck dich doch an, Traci! Du entsprichst überhaupt nicht deinem Onlineprofil. Du lebst eindeutig eine Lüge, und du sehnst dich wahrscheinlich furchtbar danach, dass Sebastian dich verwandelt, weil du schon so alt bist und deine Mutter gerade gestorben ist.
Wo ist also der Keller? Oder hast du ihn im Schlafzimmer angekettet?“
Traci zog die Augenbrauen hoch. „Alt?“
Die beiden stierten sich so böse an, dass man glauben konnte, es käme jeden Moment zu einer Schlägerei.
„Hör mal, Alison ist offensichtlich auf der völlig falschen Fährte. Weißt du vielleicht, ob es jemanden in der ... äh Versorgergruppe gibt, der oder die imstande wäre, Sebastian zu kidnappen?“, fragte ich Traci in der Hoffnung, die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf das vordringliche Problem zu lenken.
„Auf der falschen Fährte?“ Alisons Stimme wurde um einiges schriller und lauter. „Wir müssen das ganze Haus durchsuchen. Vielleicht ist er hier irgendwo und braucht unsere Hilfe ... Sebastian?“ Sie begann, nach ihm zu rufen. „Sebastian? Ich komme, Sebastian!“
Ich sah Alison entsetzt nach, als sie losrannte und jede Tür öffnete, sogar die aus Milchglas, auf der dick und fett Vorratskammer stand. Ich drehte mich zu Traci um, weil ich annahm, dass sie versuchen würde, Alison aufzuhalten, doch stattdessen füllte sie seelenruhig eine Kaffeekanne mit Wasser.
„Willst du einen Kaffee?“, fragte sie über Alisons Geschrei hinweg. Als ich zögerte, fügte sie hinzu: „Sie wird erst Ruhe geben, wenn sie auch den letzten Winkel durchsucht hat. Das Haus ist groß. Es wird eine Weile dauern.“
Und so tranken Traci und ich eine ausgezeichnete kolumbianische Mischung, während Alison durchs Haus fegte. Traci stellte viele Fragen zu Sebastians Verschwinden, und während ich ihr die Ereignisse der vergangenen Tage schilderte, outete ich mich unabsichtlich als Hexe.
„Du bist eine echte Hexe?“, fragte sie, und in ihrer Stimme schwang ein gewisser Respekt mit. „Eine richtige Hexe, die wirklich zaubern kann?“
„Ja“, sagte ich. „Eine ganz echte."
„Oh mein Gott!“ Traci entging mein leiser Spott, denn sie war zu beschäftigt damit auszuflippen. Was ich zunächst als Skepsis einer religiös Konservativen missdeutet hatte, war in
Wirklichkeit die grenzenlose Ehrfurcht einer Anhängerin, die plötzlich ihrem Idol gegenüberstand. Wie sich herausstellte, hatte Alison in einem
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