Vampir sein ist alles
geprügelter Hund, erklärte ich rasch: „Ich muss es allein machen. Das habe ich in der Kugel gesehen.“
Das war natürlich gelogen, aber Traci glaubte mir. Sie bedankte sich mehrmals bei mir und bat mich, sie anzurufen, wenn ich etwas brauchte, was es auch sei. Als sie mir ihre Visitenkarte gab, fiel mir die LiveJournal-Blogadresse auf, die darauf abgedruckt war. „Ist das der Blog der Versorgergruppe?“
Sie schüttelte den Kopf. „Dafür brauchst du eine Zugangsberechtigung. Willst du, dass ich mich darum kümmere?“
„Oh ja!“
Als sich herausstellte, dass ich gar kein LiveJournal-Benutzerkonto hatte, bot Traci sofort an, mir eins einzurichten. Ich gab ihr meine dienstliche E-Mail-Adresse - die einzige, die ich hatte -, und sie versprach, sich bei mir zu melden. Dann umarmte sie mich ein bisschen zu fest und zu lange, und ich verabschiedete mich.
Draußen erwartete mich ein Sommerwetter wie aus dem Bilderbuch. Die Temperaturen hatten sich bei fünfundzwanzig Grad eingependelt, es war nicht eine Wolke am Himmel, und die Straße war von den rhythmischen Zischgeräuschen der Rasensprenger erfüllt.
Ich musste zurück in die Stadt. Micah wusste etwas über Sebastians Verschwinden, dessen war ich sicher. Ich hatte sein Grinsen in der Kugel gesehen, und außerdem war er da aufgetaucht, wo Sebastians Astralschnur sich in viele einzelne Fäden aufgeteilt hatte.
Leuchtend gelbe Schulbusse fuhren durch den Vorort, und die Mütter, die an den Straßenecken warteten, musterten mich misstrauisch, wenn ich ihnen auf den breiten Gehsteigen entgegenkam. Ich machte mir das Interesse an meiner Person zunutze und fragte ein paar Frauen nach der nächsten Bushaltestelle. So erfuhr ich, dass es zwei Kilometer weiter eine Einkaufsstraße gab, von der Busse in die Stadt abfuhren, doch die eigentliche Botschaft hinter ihren Worten schien
„Viel Glück und auf Nimmerwiedersehen!“ zu sein. Trotzdem bedankte ich mich freundlich bei den Damen und setzte meinen Weg fort.
Die großen Häuserblocks, an denen ich vorbeiging und die mehr oder weniger alle gleich aussahen, erinnerten mich an Pete Seegers Lied Little Boxes. Auch die Gärten waren sich im Grunde ähnlich, denn überall wuchsen Hortensien, Fetthennen und Funkien. Hier und da durchbrach ein mutiger Hausbesitzer das Muster mit einem Büschel Sonnenblumen oder üppig blühenden dunkelvioletten Petunien in Blumenampeln, aber es kam nur äußerst selten vor. Alle Bäume hatten ungefähr die gleiche Größe und Form, denn sie waren von derselben Sorte und zur gleichen Zeit gepflanzt worden.
Mit meiner schwarzen Paillettenjeans kam ich mir an diesem Ort wie ein bunter Hund vor. Ich konnte förmlich spüren, wie sich die Blicke in meinen Rücken bohrten, als ich die Straßen dieser Stepford-Gemeinde entlangging.
Ich wohnte nicht ohne Grund in der Stadt.
Als ich die belebte Kreuzung vor der Einkaufsstraße erreichte, atmete ich erleichtert auf. Meine Schultern, die ich unbewusst hochgezogen hatte, entspannten sich. Hier war immerhin ein bisschen „städtisches“ Chaos in den sterilen, ordentlichen Vorort eingedrungen, und zwischen den Plakatwänden und Neonreklamen fühlte ich mich gleich viel wohler. Sogar den vertrauten Fastfoodgeruch und die Autoabgase empfand ich als tröstlich.
Die Bushaltestelle war jedoch nicht so leicht zu finden. Törichterweise hatte ich angenommen, sie wäre da, wo es für die Shoppenden am praktischsten ist, also gleich am Beginn der Einkaufspassage, doch ich marschierte die ganze Straße vergeblich zweimal auf und ab, bevor ich schließlich stehen blieb und jemanden fragte. Die Leute hatten natürlich keine Ahnung, weil sie wie alle anderen mit dem Auto gekommen waren. Als ich gerade aufgeben und mich auf die
sicherlich ebenso erfolglose Suche nach einer Telefonzelle machen wollte, um mir ein Taxi zu rufen, entdeckte ich einen Informationsschalter. Die gelangweilte Sicherheitsbedienstete schickte mich auf die rückwärtige Seite der Passage. Und sie sagte mir, ich müsse fast eine Stunde warten, da erst vor anderthalb Minuten ein Bus in Richtung Stadt abgefahren sei.
Na prima.
Frustriert und müde machte ich mich auf die Suche nach einem Imbiss. Wenn ich Glück hatte, gab es hier vielleicht ein Subway, wo ich zumindest ein vegetarisches Sandwich bekommen konnte. Wenn nicht, wollte ich mir etwas zu trinken besorgen und mich eine Weile hinsetzen.
Als ich das gelb-grüne Logo entdeckte, ging ich einen Schritt schneller. Ausnahmsweise
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