Vampir sein ist alles
darüber nach, wer etwas von Sebastian oder mir wollen könnte. Es war ziemlich diesig, und die Neonlichter und Leuchtreklamen in der Fußgängerzone waren von einem regelrecht unheimlichen Schein umgeben. Der Regen hatte Schwärme von Mücken mobilisiert, die um die Lampen schwirrten, und unter der Markise hatte eine rührige Spinne ein riesengroßes Netz gewebt.
Ansonsten war draußen nicht viel los. Da viele Studenten über den Sommer weg waren, teilten sich Touristen und Einheimische die Fußgängerzone, und an diesem Abend war kaum jemand unterwegs. Nur ein Pärchen schlenderte langsam Hand in Hand an den Schaufenstern entlang. Ich schaute rasch fort.
„Wir müssen ihn finden!“, sagte ich. Die Angst schnürte mir den Magen zusammen. „Was ist, wenn wir zu spät kommen? Sebastian könnte schon tot sein!“
Mátyás musste gemerkt haben, wie meine Stimme zitterte, denn er sah mir tief in die Augen und legte eine Hand auf meine Schulter, um mich zu beruhigen. Sein Griff fühlte sich überraschend zuversichtlich und tröstlich an. „Du und Sebastian, ihr steht euch sehr nahe. Wenn er tot wäre, wüsstest du es.“
Ich schloss die Augen und suchte nach der silbernen Schnur, die Sebastian und mich verband. Sie war sehr dünn, aber sie war immer noch da. Ich hatte sie nicht bis ans Ende verfolgen können, als ich das letzte Mal auf der Astralebene gewesen war, weil Micah mich abgefangen hatte, aber ich tröstete mich damit, dass die Schnur immer noch straff gespannt war. Das andere Ende war in Sebastian verankert, dessen war ich sicher. Er war noch am Leben. Andernfalls wäre die Schnur
schlaff gewesen oder gar nicht mehr vorhanden.
„Siehst du“, sagte Mátyás und nahm seine Hand wieder weg. „Du kannst es spüren.“
Ich öffnete die Augen. „Aber die Verbindungsschnur ist so dünn!“
„Deshalb werden wir uns auch eine richtig gute List überlegen.“
„Hast du denn schon eine Idee?“, fragte ich, doch da kamen unsere Nudeln. Ich hatte mich für einfache gebutterte Nudeln mit frisch geriebenem Parmesan entschieden. Mátyás hatte etwas Exotisches mit viel Curry bestellt und ging geschickt mit Essstäbchen zu Werke.
„Ja“, entgegnete er kauend. „Aber wir müssen genau wissen, was der Feind will, damit die Falle auch funktioniert.“
Ich schaute zu dem Spinnennetz unter der Markise. Es wackelte heftig, weil sich eine Mücke nach der anderen darin verfing. „Wir brauchen etwas, das ihn anlockt“, überlegte ich laut.
Mátyás folgte meinem Blick und sah, wie die Insekten um die Lampe schwirrten. „Ja, wir brauchen einen Köder.“
Ich betrachtete stirnrunzelnd mein langweiliges Essen und wünschte, ich hätte das Gleiche bestellt wie Mátyás. Ich stocherte mit der Gabel in den Makkaroni herum und beobachtete, wie die geschmolzene Butter sich darin verteilte.
„Ich habe es nicht geschafft, Lilith zurückzuholen, Mátyás. Ich habe nichts mehr, was jemand anders haben wollen könnte“, sagte ich. Und das stimmte doch auch, oder? Wenn die Blutspender Sebastian haben wollten, dann fanden sie ihn nicht mehr bei mir. Micah hatte mir die Göttin geraubt. Verdammt, sogar meine Wohnung war zerstört. Nicht einmal eine Immobilie hatte ich als Lockmittel zu bieten.
„Da sei dir mal nicht so sicher“, entgegnete Mátyás. „Ich habe noch mal über den Ablauf der Ereignisse nachgedacht und bin auf etwas gestoßen, das keinen Sinn ergibt. Zuerst verschwindet Papa. Er ist eindeutig nicht das Hauptziel, denn wenn der Feind es nur auf ihn abgesehen hätte, dann wäre er ja schon fertig und würde dich nicht weiter angreifen. Wer immer also Sebastian mit einem Bann belegt hat, wollte ihn aus dem Weg haben, um an dich heranzukommen. Das würde
auf Micah zutreffen, wenn man davon ausgeht, dass er hinter Lilith her ist. Du hast doch gesagt, es war jemand im Laden, bevor das mit dem Windspiel passiert ist; jemand, der sich für Lilith interessiert hat, oder?“
„Ja, Marge“, entgegnete ich und probierte vorsichtig eine Gabel voll Nudeln. Und siehe da, der Parmesan war schön pikant und die geschmolzene Butter lecker gewürzt.
„Dann ist es also möglich, dass sie irgendwie mit Micah in Verbindung steht.“
Ich hatte die beiden bei unserem Treffen bei William miteinander reden sehen. „Ja, das ist sehr gut möglich.“
„So weit, so gut: Sebastian wird also irgendwie von Marge und Micah aus dem Verkehr gezogen, was sich damit erklären lässt, dass Micah aller Wahrscheinlichkeit nach die
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