Vampir sein ist alles
Schlachtplan zurechtlegen. Wie wär’s, wenn wir uns eine kleine List ausdenken?“
Mátyás schien protestieren zu wollen, aber genau in diesem Moment knurrte mein Magen noch viel lauter. Mátyás zog grinsend eine Augenbraue hoch. „Wie wärs, wenn wir beim Abendessen darüber nachdenken?“
Ich erwiderte sein Grinsen. „Gute Idee!“
Auf dem Weg zum Laden fuhren wir an meiner Wohnung vorbei. Von draußen betrachtet, waren die Schäden sogar noch beeindruckender. Die Wurzeln der Eiche hatten den Gehsteig und ein Stück Straße aufgerissen. Abgebrochene Äste und Blätter waren über den unbeschädigten Teil des Daches, den Vorgarten und die parkenden Autos verstreut. Wo der Baum aufs Haus gekracht war, klaffte ein riesiges dunkles Loch.
„Das untere Stockwerk hat überhaupt nichts abbekommen“, bemerkte Mátyás, als ich das Tempo wieder beschleunigte. „Nicht einmal die Fensterscheiben sind kaputt gegangen.“
Ich sah mich noch einmal um. Mátyás hatte recht. Der untere Teil des Hauses war nicht beschädigt. Meine Nachbarn hatten zwar weder Strom noch Wasser, aber sie konnten in den
eigenen vier Wänden schlafen, wenn sie wollten. „Göttin sei Dank“, sagte ich. „Es wäre ja schrecklich, wenn jemand anders Schaden genommen hätte, obwohl der Angriff mir galt.“
„Hm“, machte Mátyás, als ich den Jaguar geschmeidig um die Kurve lenkte. „Dann müssen wir also nach einem rücksichtsvollen Feind Ausschau halten; nach jemandem, der Kollateralschäden zu vermeiden versucht.“
Im Wagen war es so düster, dass ich seine Miene nicht deuten konnte. „Meinst du das ernst?“
„Ich versuche, ein Profil deines Angreifers zu erstellen“, erklärte er. „Vielleicht ist es jemand, der beim Militär war und daher darauf achtet, zivile Opfer zu vermeiden.“
Ich sah ihn aus dem Augenwinkel an. „Du siehst eindeutig zu viel fern!“
Mátyás verzog das Gesicht. „Mit dem Fernsehen hat das nichts zu tun. Ich war mal mit einer Kriminalbeamtin von Scotland Yard zusammen. Sie hat mein Interesse für die Verbrechensaufklärung geweckt. Ich hätte fast einen Abschluss in Strafrecht gemacht.“
„Fast?“
Er zuckte mit den Schultern. „Hat nicht geklappt. Pauken gehört nicht unbedingt zu meinen Hobbys.“
Ein geistiger Tiefflieger war Mátyás jedoch nicht, und wenn er wollte, konnte er ziemlich hartnäckig und zielbewusst sein. Das wusste ich aus persönlicher Erfahrung.
Die bläuliche Beleuchtung des Armaturenbrettes erhellte Mátyás’ kantige Gesichtszüge. Es war noch gar nicht so lange her, dass er versucht hatte, Sebastian und mich zu verraten. Und nun fuhren wir zusammen zum Abendessen - und wir hatten uns über eine Stunde lang völlig zivilisiert miteinander unterhalten. Wenn die Verzweiflung groß genug ist, kommen die merkwürdigsten Bündnisse zustande ...
Die Sonne war nur sehr undeutlich hinter den dicken Wolken zu erkennen. Sebastian und ich waren diese Strecke schon so oft zusammen gefahren. „Göttin“, seufzte ich und fröstelte, obwohl mir gar nicht kalt war. „Ich hoffe, es geht ihm gut.“
„Ich auch“, sagte Mátyás leise.
William machte ein überraschtes Gesicht, als er mich in den Laden kommen sah, und seine Augen wurden noch größer, als er Mátyás hinter mir entdeckte. Er schaute irritiert von ihm zu mir und wieder zurück, bevor er schließlich sagte: „Äh, hey, Garnet. Mátyás.“
„Ich muss nur mal schnell meine E-Mails checken“, erklärte ich.
„Äh, ja, okay“, stammelte William, ohne Mátyás aus den Augen zu lassen, dann schüttelte er den Kopf. „Moment mal, hast du gerade 'E-Mails checken' gesagt? Weißt du überhaupt, wie das geht?“
Habe ich schon erwähnt, dass ich eine absolute Niete in Sachen Technik bin? Trotzdem gab ich mich empört. „Hey, so schlimm ist es nun auch wieder nicht!“
„Oh doch, ist es“, erwiderte William.
Er und Mátyás folgten mir ins Büro. Slow Bob, der sich in der Abteilung Urmythen in ein Buch vertieft hatte, nickte uns zu, als wir an ihm vorbeikamen. Das Büro war kaum groß genug für drei. Ich setzte mich auf den Drehstuhl, und William und Mátyás drängten sich Schulter an Schulter hinter mich.
Während ich mich einloggte, sagte William: „Lange nicht gesehen, Mátyás, was?“
„Ja“, lautete die knappe, fast schon unhöfliche Antwort.
„Und wie geht’s so?“, versuchte William es noch einmal.
„Gut.“
William beugte sich zu mir vor. „Ist er jetzt auf unserer Seite?“, flüsterte
Weitere Kostenlose Bücher