Vampir sein ist alles
er mir ins Ohr.
Ich drehte mich zu Mátyás um, der mich fragend ansah. Offenbar interessierte ihn meine Antwort auch. „Ja“, sagte ich, „ist er.“
Mátyás bedachte William mit einem hämischen Grinsen, das wohl so viel wie „Siehst du?“ bedeutete.
Traci hatte mir wie versprochen die Einladung geschickt. Ich klickte sie an und landete bei dem längsten Fragebogen der Welt zu meinen Hobbys und Freunden. Ich beantwortete nur das Allernötigste, um schnell zu der Blutspender-Community zu gelangen.
„Du hast dich bei LiveJournal angemeldet?“, fragte William erstaunt. „Bekommen wir auch einen Blog für den Laden? Ist ja klasse!“
Mátyás erklärte ihm die Sache mit den Blutspendern, während ich die neuesten Einträge im Forum überflog. Ich versuchte, mich nicht von den Icons irritieren zu lassen, die manche Leute verwendeten - Hälse, Fetischklamotten, South-Park-Figuren und Einhörner -, und konzentrierte
mich auf die Mitteilungen.
Es gab einige Geburtstagsglückwünsche und andere Alltagsgeschichten. Dann fand ich, nachdem ich mehrere Bildschirme nach unten gescrollt war, einen halben Roman von jemandem mit dem Namen „Liebessklavin“ und einem Icon, der einen in Ketten gelegten Fuß in einem unglaublich hohen Stöckelschuh zeigte. Sie beklagte sich bitterlich darüber, dass Sebastian heiraten wollte. Es gab viele Reaktionen auf diese Mitteilung. Ich klickte auf „Antworten“. Einige wenige Kommentare waren verständnisvoll, aber die meisten klangen schockiert und aufgebracht. Angesichts der Ausdrücke, mit denen die Leute mich bedachten, wäre sogar ein Seemann rot geworden.
„Wow, meinen die dich?“, fragte William.
Ich nickte. Wenn ich gehofft hatte, hier eine einzelne Widersacherin ausfindig machen zu können, hatte ich mich tüchtig in den Finger geschnitten. So ziemlich jedes Mitglied der örtlichen Blutspendergemeinschaft schien mich zu hassen wie die Pest.
Meine Finger verharrten über der Tastatur. Das leere Antwortfeld schrie förmlich danach, dass ich diesen Frauen gehörig den Marsch blies. Ich war gerade dabei, mir einen pfiffigen Einleitungssatz auszudenken, als Mátyás sich räusperte. „Wenn wir noch essen gehen wollen, dann sollten wir allmählich los.“
„Stimmt“, sagte ich und wollte schon die Website verlassen, doch da merkte ich, dass William immer noch interessiert auf den Monitor schaute. „Würdest du mir einen Gefallen tun, William?“
„Alles, was du willst.“
„Könntest du dir vielleicht einen Moment Zeit nehmen und noch ein bisschen weiterlesen? Es ist sehr gut möglich, dass jemand von diesen Leuten hier mit Sebastians Verschwinden zu tun hat.“
William sah auf die Uhr. „Ja, klar, ich kann mir das noch ein bisschen angucken. Aber wir haben abgemacht, dass ich heute früher gehen kann.“
„Ja, natürlich“, sagte ich, obwohl ich mich absolut nicht an diese Abmachung erinnern konnte. „Wie viel du auch schaffst, es ist auf jeden Fall eine große Hilfe.“
„Alles klar“, meinte er, setzte sich auf den Drehstuhl, nachdem ich aufgestanden war, und begann, die Mitteilungen durchzusehen wie ein Profi. „Und worauf soll ich im Besonderen achten?“
„Auf Leute, die ein bisschen zu sehr an Sebastian hängen.“
„Du meinst, Leute wie diese ,Liebessklavin‘?“
„Ja, genau. Du kannst ja mal sehen, ob du mehr über sie herausfindest.“
„Wird gemacht, Boss“, entgegnete er lächelnd.
„Vielen Dank, William“, sagte ich, obwohl er von einem Ohr zum anderen grinste, als könnte er es nicht fassen, dass er dafür bezahlt wurde, im Internet zu surfen. „Ich mache mir wirklich Sorgen um Sebastian.“
Mátyás tippte mir auf die Schulter und raunte mir ins Ohr: „Genau deshalb sollten wir jetzt auch los, um Rettungspläne zu schmieden.“
Wir betraten das Noodles & Company auf der State Street kurz vor Ladenschluss. Der Typ, der den Boden wischte, sah verärgert auf, als er die Türglocke bimmeln hörte. Ich wusste, wie ihm zumute war; ich hatte schon viele Kunden genauso angesehen. Er hatte den typischen Oh-Mann- ich-wollte-heute-mal-pünktlich-nach-Hause!-Gesichtsausdruck. Aber er war ein Profi und setzte eine freundlichere Miene auf, als er pflichtbewusst unsere Bestellung aufnahm.
„Da es mehrere Verdächtige gibt, müssen wir den Übeltäter irgendwie entlarven“, sagte Mátyás, während wir uns ans Fenster setzten. Ich stellte das Schild mit der Nummer sechs auf den Tisch.
„Aber wie?“, fragte ich und dachte
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