Vampirblut (German Edition)
stickig, irgendwie dick und feucht. Unsere Stimmen hallten von den steinernen Wänden wider. Ohne Tuckers Taschenlampe, hätten wir keinen Fuß weit sehen können. Durch das Loch über unseren Köpfen drang inzwischen kaum noch Licht herein. Der Tag war fast vorbei. Nicht mehr lange und meine Mutter würde sich fragen, wo ich solange war. Meine Großmutter würde sich Sorgen machen, denn so gerne sie es sah, dass ich und die Natur uns näher kamen, so sehr hatte sie mich auch immer vor ihr bewahren wollen, wenn es draußen Dunkel wurde. Nur langsam wurde mir die Tragweite der Situation bewusst. Die Chancen standen gut, dass wir hier nicht wieder raus finden würden. Dass wir hier unten sterben würden.
„Also rechts“, sagte Tucker. Er nahm meine rechte Hand, Dakota meine Linke. So liefen wir hintereinander durch den Schacht. Der Boden war uneben und das Licht der Taschenlampe nicht ausreichend, also stolperten wir mehr als wir liefen. Unsere Schritte hallten von den Wänden wider. Die Luft war feucht und roch modrig. Auf beiden Seiten des Ganges befanden sich in einigen Abständen kleine Nischen in den Felswänden.
„Die sind zur Probe reingeschlagen worden. Wo nicht weiter gegraben wurde, war auch kein Gold zu finden“, erklärte Tucker und versuchte sich unserem Tempo anzupassen. Seine Hand fühlte sich heiß in meiner an. Ganz anders als meine. Meine war so kalt, ich hatte das Gefühl meine Finger würden erfrieren. Ich schob es auf die Kälte, die uns hier unten umgab. Meine Beine waren etwas zittrig und hin und wieder knickten sie kurz ein, als wären sie nur aus Gummi.
Dakotas Finger schlangen sich um meine Knöchel und drückten so stark zu, dass ich die Lippen fest zusammenpressen musste, um nicht zu wimmern. Aber ich ertrug es, denn ich wusste, sie hatte nur Angst ich könnte sie aus Versehen loslassen und in der Dunkelheit verlieren.
Plötzlich blieb Tucker stehen. Der relativ große Gang, auf dem wir uns gerade befanden, spaltete sich vor uns in zwei Kleinere. Er ließ meine Hand los, ging ein Stück voraus und leuchtete in beide Gänge einmal kurz rein. „Nichts zu sehen. Welchen wollen wir nehmen?“, rief er uns über die Schulter zu. Er kam wieder auf uns zu und leuchtete mir ins Gesicht. Er wollte sich wohl davon überzeugen, dass die Wunde an meiner Stirn, aufgehört hatte, zu bluten.
Ich wollte Dakota und Tucker diese Entscheidung überlassen. Immerhin könnte sie über Leben und Tod entscheiden. Unser Leben. Unseren Tod. Hier ging es nicht nur um mich, sondern um uns. Eine Tatsache, die ich sonst in meinem Leben eher verdrängte – nämlich, dass ich nicht die Einzige war.
Zu meiner Überraschung waren mir aber jetzt im Augenblick ganz andere Menschen viel wichtiger als ich selbst. Allen voran Dakota und meine Großeltern ... und meine Mutter. Auch wenn ich ohne sie jetzt wohl überhaupt nicht in dieser Situation stecken würde. In Los Angeles würde ich jetzt wohl gerade auf dem Weg zu einem Konzert der Jonas Brothers sein.
Im Moment wäre ich sogar froh gewesen, in der Küche meiner Großmutter sitzen zu können, an einem Tisch mit meiner Mutter. Vielleicht hätten wir über unsere Probleme gesprochen, ziemlich wahrscheinlich aber, hätten wir uns gestritten, aber wir hätten Großmutters Apfelkuchen in uns hineingestopft. Auf meinem Teller wäre ein riesiger Berg Sahne gewesen und meine Mutter hätte einige Tassen starken Kaffee getrunken. Und meine Oma hätte zwischen uns gesessen und munter geplaudert und so getan, als würde es die frostige Stimmung zwischen ihrer Tochter und der Enkelin gar nicht geben.
Wir entschieden uns für den linken Gang. Es war enger hier, die Decke niedriger, der Boden unebener, die Luft stickiger. Ich atmete tief und lang ein, um genügend Sauerstoff zu bekommen. Das Atmen fiel mir schwer und die Lunge schmerzte.
Langsam bekam ich Angst vor der Enge. Ich sah die Wände von allen Seiten auf mich einstürzen. Mein Atem ging plötzlich immer stockender. Ich keuchte. Reiß dich zusammen, sagte ich mir immer wieder. Mach jetzt nicht schlapp. Du darfst jetzt keine Panikattacke bekommen. All meine Hoffnung war auf den siebzehnjährigen Jungen vor mir gerichtet. Mein Anker in der Dunkelheit. Meine Sonne. Mein Retter?
Ich weiß nicht, wie lange wir liefen – sämtliches Zeitgefühl hatte mich verlassen. Mir kam es so vor als irrten wir hier unten schon seit Stunden herum, als Tucker abrupt vor mir stehen blieb.
Er leuchtete mit der Taschenlampe in den Gang
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