Vampirdämmerung / Roman
wissen?«
»Alessandro ist anders.« Holly hob ihre Hand, als Ashe ihr widersprechen wollte. »Er ist mein Erwählter. Das ist eine alte Legende. Wenn ein Mensch einen Vampir vollkommen und aus freiem Willen liebt, wird der Vampir vom Blutdurst befreit.«
Oh, bitte!
»Und was futtert er dann? Donuts?«
»Erwählte Vampire nähren sich energetisch – an der Verbindung zu ihren Menschen.«
Ashe wurde schlecht. »Sie ernähren sich von heißem Gevögel?«
Holly errötete.
»Oh, uärgs.« Ashe war bewusst, dass sie sich wie damals anhörte, als sie noch ein Teenager gewesen war. Komisch, wie man sich zurückentwickelte, kaum dass man wieder in seinem Elternhaus war. »Bäh!«
»Wir sind …« Holly setzte sich. Sie suchte nach den richtigen Worten. »Wir sind glücklich. Es funktioniert. Alessandro ist menschlicher als andere Vampire. Menschenähnlich.«
»Ist dir klar, wie beknackt sich das anhört?«
Hollys Miene wurde strenger. »Ich versuche bloß, es dir zu erklären. Es muss dir ja nicht gefallen.«
Ashe hatte genug gehört. »Schalt mal deinen Kopf ein, und komm auf den Teppich! Du musst den Kerl loswerden.«
»Nein.«
»Ich spreche für Mom und Dad.«
Eine Weile starrte Holly sie an. »Sie sind tot. Sie können nichts mehr sagen.«
Die Worte sollten so brutal klingen, wie sie bei Ashe ankamen. »Ich weiß«, erwiderte sie leise. »Ich habe sie umgebracht. Und deshalb bin ich es ihnen schuldig, dafür zu sorgen, dass es dir gut geht.«
Holly blickte zur Seite. »Sie sind bei einem Unfall ums Leben gekommen.«
»Weil ich einen egoistischen, idiotischen Zauber gewirkt habe, damit ihr Wagen Probleme macht und sie nicht nach Hause kommen konnten, solange ich dich allein ließ.«
»Du warst sechzehn und wolltest zu einem Konzert. Das ist normaler Teenager-Mist, den du gebaut hast.«
Ashes Überraschung war so klar und hell wie ein Glockenschlag. Holly hatte ihr vergeben.
Das sollte sie nicht. Vielleicht war sie zu jung und hat gar nicht kapiert, was ich gemacht habe.
Ashe beharrte: »Ich wendete mächtige Magie an, die ich eigentlich nicht hätte anrühren dürfen. Ich verursachte den Unfall. Die Nachwirkungen hätten beinahe deine Kräfte zerstört.«
»Und sie zerstörten deine. Du bist abgehauen. Ich kenne die Geschichte. Das ist alles lange her. Wir müssen beide nach vorn sehen.«
Ashe war diese Begegnung wieder und wieder im Geiste durchgegangen. Sie hatte sich vorgestellt, wie sie versuchen würde, alles wieder ins Lot zu bringen. Nun beugte sie sich vor. Ihr Mund war trocken und schal von ausgebrannten Emotionen. »Ich habe damals Scheiße gebaut. Aber ich werde verdammt noch mal nicht wieder Mist machen! Du steckst in Schwierigkeiten, und ich kann dir helfen.«
Die Uhr tickte. Ashe konnte die Geräusche des kleinen Hauses hören: das leise »Ping« in der Heizungsanlage, das Knarren der Bodendielen, als die Katze Schatten jagte. Eigentlich sollten diese Geräusche angenehm sein, doch irgendwie machten sie die Anspannung im Raum noch drückender.
»Ich bin nicht in Schwierigkeiten«, widersprach Holly. »Und ich halte nicht als deine Wiedergutmachung her.«
Ashe holte tief Luft. Sie wollte Holly vom Stuhl reißen und schütteln, bis sie zur Vernunft kam, aber hier handelte es sich ausnahmsweise nicht um ein Problem, das sich mit Gewalt lösen ließ. Zum einen war Holly eine mächtige Hexe, während Ashe bloß die leere Hülle von einer ohne aktive Magie war.
Also änderte sie ihre Taktik. »Was ist mit Familie? Du willst doch sicher Kinder?«
»Wer weiß?«, antwortete Holly achselzuckend.
O Göttin!
»Du denkst doch nicht etwa an Adoption?«
»Irgendwann vielleicht.«
»Scheiße, du meinst das ernst! Ein Vampirbaby-Daddy?«
Wieder zuckte Holly mit den Schultern. »Wieso nicht?«
Panik stieg in Ashe auf, die sie sofort unterdrückte. Vampire konnten keine Kinder zeugen, und kein Vampir würde den Nachwuchs eines anderen tolerieren. Holly war hoffnungslos verblendet. Solche Illusionen konnten eine Frau vernichten. Womöglich brachte er das Kind um, das sie aufnahm.
»Verflucht noch mal, Holly!« Das war es, was Ashe an den Monstern am meisten hasste: Immer sahen sie vertraut aus, bis die Maske wegrutschte und sich das Böse darunter zeigte.
Nicht unähnlich dem Fall einer Sechzehnjährigen, die ihre Eltern mit einem Zauber umbrachte. Sie sah eine dieser Masken tagtäglich im Spiegel.
Für Kreaturen der Nacht gehörte Grübeln zu den Berufsrisiken. Alessandro konnte es
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