Vampirdämmerung / Roman
nicht ausstehen, dem Vampirklischee zu entsprechen, doch er tat es leider. Er lehnte an seinem T-Bird, rauchte und starrte finster in die Dunkelheit. Wenigstens trug er sein Schlachtenleder und die Waffen. Das wertete den Moment immerhin ein bisschen auf.
Ashe war noch im Haus und redete mit Holly. Trotz seines scharfen Gehörs konnte Alessandro nur wahrnehmen, wie ihre Stimmen sich hoben und senkten – einmal wütend, einmal nicht. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass die Stunde beinahe um war.
Er zog an seiner Zigarette und beobachtete, wie die Glut aufleuchtete. Früher hatte er geraucht, um den Geruch von Menschenblut zu überdecken, wenn er sich an belebten Plätzen bewegte. Heute gab es ihm einen Vorwand, draußen zu stehen und auf die Haustür zu blicken, die Ashe ihm quasi vor der Nase zugeknallt hatte.
Er war ein Jäger. Er verstand sich aufs Warten. Alessandro trat die Kippe aus, wobei das Knirschen seines Stiefels auf dem Pflaster der Einfahrt sehr laut war. Nachts um diese Zeit war es in der Straße sehr ruhig. Lediglich ein Waschbär oder eine Katze unterbrachen hier und da die Stille.
Endlich wurde die Haustür geöffnet. Ashe stampfte die Stufen hinunter, ihren rot-weißen Helm unter dem Arm. Alessandro richtete sich auf und verlagerte instinktiv sein Gewicht auf ein Bein, so dass er notfalls schnell losstürmen konnte. Der Drang, sein Territorium zu verteidigen, war übermächtig. Es war gleich, dass das Haus zur Hälfte Ashe gehörte. Zum ersten Mal in Jahrhunderten hatte Alessandro emotional Wurzeln geschlagen, und er würde diese Schlacht gewinnen.
Ihre Blicke begegneten sich mit einem fast hörbaren Knall.
Ashe lachte tief. »Du siehst wie ein Schulhofschläger aus, der im Dunkeln lauert.« Es war unheimlich, wie sehr ihre Stimme Hollys ähnelte.
»Wenn du jetzt verschwindest, werde ich diesen Vergleich nicht auf die Probe stellen.«
»Oh, ich verschwinde – für heute«, versicherte sie kühl.
Alessandro blieb totenstill.
Nichts ist jemals so einfach.
»Aber freu dich nicht zu früh! Ich bleibe in der Stadt. Meine Schwester und ich haben einiges nachzuholen.« Sie zog den Reißverschluss ihrer Jacke weiter zu.
»Lass Holly in Ruhe!«
»Ich bin hier nicht der Blutsauger.« Ashe warf sich das Haar über die Schulter. »Holly hat mir eine Menge Müll erzählt, von wegen, du beißt sie nicht. Diesen Quark habe ich schon oft gehört.«
Es stimmte. Hollys Magie hatte Alessandro von der Last befreit, aber er schwieg. Ashe würde ihm sowieso nicht glauben, also wozu Atem vergeuden?
Ihre Stimme war vor Wut belegt, als sie fortfuhr. »Vorige Woche hob ich ein Nest mit fünfzehn Vampiren aus, die die Hälfte aller Stadtratskinder gekidnappt hatten. Das war in Calgary. Die Woche davor war es eine Horrorshow in Duluth. Ein Dutzend Tote: sechs Vampire, sechs Werwölfe, die die halbe Stadt terrorisiert hatten.«
Alessandro zog die Brauen zusammen. »Soll mich das beeindrucken?«
»Ich könnte dich zwischen Frühstück und Kaffee ausschalten.«
»Und ich könnte dich gleich jetzt und hier erledigen, aber eher lege ich mich in die Sonne, bevor ich von Holly verlange, sich zwischen ihrer Schwester und mir zu entscheiden.«
»Wer sagt, dass sie zu entscheiden hat?«
»Treib’s nicht zu weit!«
»Ja, ja.« Ashe ließ den Helm locker neben sich baumeln, um gelassen zu erscheinen. Über ihr wirkten die Sterne wie matte Punkte, gedämpft von den Lichtern der Stadt. »Klär mich mal auf: Grandma hat mir geschrieben, dass sie dich vor Jahren kannte. Stimmt das?«
»Ich bin schon lange in Fairview.«
»Und wie kommt es dann, dass ich dich früher nie in dieser Gegend gesehen habe?«
»Vampire machen Eltern und Großeltern nervös.«
»Ach, das ist ja ’n Ding!«
»Ich würde nie ein Kind verletzen. Ich tue, was ich kann, um Familien zu respektieren, was der Grund ist, weshalb du noch atmest.«
Ashes Lachen hing wie Säure in der Luft. »Klar doch! Wusstest du, dass ein Familientreffen auf Hawaii stattfindet? Dort ist Grandma gerade, aber Holly nicht.«
»Wieso bist du nicht dabei?«
»Deinetwegen. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, dass ich am Strand herumtolle, während meine Schwester mit den Toten pennt.«
»Das ist deine Entscheidung.«
»Ja, aber überleg mal genauer: Wäre Holly hingeflogen, hätte sie den Verwandten erklären müssen, dass sie es mit einem wiederbelebten Leichnam treibt. Das kommt denkbar schlecht an bei einem Haufen Hexen und Zauberer, die auf die nächste
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