Vampire Academy 01 ● Blutsschwestern
erwischt. Aber was wäre mit Lissa? ʺ
„Wenn sie bei Ihnen wäre, würde ihr nichts passieren. ʺ
Ich blickte überrascht auf. Es war das erste echte Kompliment, das er mir gemacht hatte, seit ich mit ihm trainierte. Er beobachtete mich mit seinen braunen Augen, in denen sowohl Anerkennung als auch Erheiterung stand.
Und das war der Moment, in dem es geschah.
Ich fühlte mich, als hätte mich jemand angeschossen. Scharf und schneidend explodierte das Entsetzen in meinem Körper und in meinem Kopf. Kleine Rasiermesserklingen des Schmerzes. Meine Sicht trübte sich, und einen Augenblick lang stand ich nicht dort in der Halle. Ich lief eine Treppenflucht hinunter, voller Angst und verzweifelt; ich musste dort hinaus, musste jemanden finden....mich.
Meine Sicht klärte sich, und ich war wieder auf der Bahn und außerhalb von Lissas Kopf. Ohne ein Wort zu Dimitri rannte ich los, rannte, so schnell ich konnte, auf das Wohnheim der Moroi zu. Es spielte keine Rolle, dass ich meinen Beinen gerade einen Minimarathon abverlangt hatte. Sie trommelten hart und schnell auf den Boden, als wären sie taufrisch. Ich war mir vage bewusst, dass mich Dimitri einholte und fragte, was geschehen sei. Aber ich konnte ihm nicht antworten. Ich hatte eine Aufgabe vor mir, und zwar nur eine: Ich musste ins Wohnheim.
Das hoch aufragende, von Efeu überwucherte Gebäude kam gerade in Sicht, als Lissa auf uns zukam, das Gesicht tränenüberströmt. Ich blieb stehen, meine Lungen waren dem Bersten nahe.
„Was ist los? Was ist passiert? ʺ , fragte ich scharf, während ich ihre Arme umklammerte und sie zwang, mir in die Augen zu sehen.
Aber sie konnte nicht antworten. Sie schlang lediglich die Arme um mich und schluchzte an meiner Brust. Ich hielt sie fest und strich ihr über das glatte, seidige Haar, während ich sagte, es werde alles gut werden ‐ was immer „es ʺ sein mochte.
Und ehrlich, in diesem Augenblick kümmerte es mich ganz und gar nicht, was es war. Sie war hier, und sie war in Sicherheit, das war alles, was zählte. Dimitri stand abwartend neben uns, hellwach und bereit, jeder Drohung entgegenzutreten, den Körper zum Angriff gespannt. Ich fühlte mich sicher ‐ mit ihm an unserer Seite.
Eine halbe Stunde später zwängten wir uns zusammen mit drei weiteren Wächtern, Mrs Kirova und der Hausmutter in Lissas Wohnheimzimmer. Es war das erste Mal, dass ich Lissas Zimmer sah. Natalie war es tatsächlich gelungen, sie als Zimmergenossin zu bekommen, und die beiden Seiten des Raumes waren eine Studie der Gegensätze. Natalies Bereich wirkte bewohnt, mit Bildern an der Wand und einer rüschenbesetzten Tagesdecke, die nicht zur Ausstattung des Wohnheims gehörte. Lissa hatte ebenso wenige Besitztümer wie ich, sodass ihre Hälfte merklich kahler wirkte. Allerdings hatte sie ein Bild an die Wand geklebt, ein Bild, das letztes Jahr an Halloween aufgenommen worden war: Wir waren wie Feen gekleidet, komplett mit Flügeln und Glitzer-Make ‐ up. Als ich dieses Bild sah und daran dachte, wie die Dinge früher gewesen waren, regte sich in meiner Brust ein dumpfer Schmerz.
Bei all der Aufregung schien sich niemand daran zu erinnern, dass ich eigentlich nichts in Lissas Zimmer zu suchen hatte. Draußen im Gang scharten sich andere Moroimädchen zusammen und versuchten herauszufinden, was hier vorging.
Natalie drängte sich zwischen ihnen hindurch, beschäftigt mit der Frage, was es mit dem Aufruhr in ihrem Zimmer auf sich hatte. Als sie es herausfand, blieb sie wie angewurzelt stehen.
Erschrecken und Abscheu malten sich auf fast allen Gesichtern ab, als wir auf Lissas Bett starrten. Auf dem Kissen lag ein Fuchs. Sein Fell war rötlich-orange mit weißen Flecken. Er sah so weich und kuschelig aus, dass er ein Schoßtier hätte sein können, vielleicht eine
Katze, also irgendetwas, das man in den Armen halten und mit dem man schmusen wollte.
Abgesehen davon, dass ihm die Kehle aufgeschlitzt worden war.
Das Innere der Kehle sah rosig aus, wie Gelee. Blut befleckte das weiche Fell und war auf die Tagesdecke gelaufen, wo es eine dunkle Lache bildete, die sich auf dem Stoff ausbreitete. Die Augen des Fuchses starrten glasig zur Decke. In ihnen stand ein erschrockener Ausdruck, als könne der Fuchs nicht glauben, dass dies wirklich geschah.
Übelkeit stieg in mir auf, doch ich zwang mich hinzusehen. Ich konnte es mir nicht leisten, zimperlich zu sein. Eines Tages würde ich Strigoi töten. Wenn ich mit einem Fuchs nicht fertig wurde,
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