Vampire Academy 04
machte es Lissa unglaublich wütend, die Selbstsüchtigkeit der elitären Vertreter der Moroi ertragen zu müssen.
Sie war für jede Möglichkeit dankbar, diesen Verpflichtungen zu entkommen, erpicht darauf, mit Avery loszuziehen. Avery gelang es einfach immer, Leute aufzutreiben, mit denen sie Zeit verbringen und Partys von ganz anderer Qualität feiern konnten. Die schrecklich erdrückende höfische Politik kam bei diesen Partys nie zur Sprache. Aber sie konnten dennoch die vielen anderen Dinge, die auf Lissas Stimmung drückten, nicht wettmachen.
Insbesondere spürte Lissa, wie sich ihre Schuldgefühle, ihre Wut und ihre Depression meinetwegen immer tiefer in ihre Seele bohrten. Sie hatte von den Nebenwirkungen des Geistelements auf ihre Stimmung wahrlich genug mitbekommen, um potenzielle Warnzeichen zu erkennen – obwohl sie ihr Element während dieser Reise gar nicht aktiv benutzt hatte. Doch ohne Rücksicht auf die Ursachen für ihre Stimmungen gab sie nach wie vor ihr Bestes, um sich abzulenken und ihre Depression zu ertränken.
„Pass lieber auf“, warnte Avery sie auf der Party, am Abend vor dem Rückflug zur Akademie. Viele Leute, die bei Hofe lebten, hatten dauerhafte Wohnsitze, und diese Party fand im Stadthaus eines Szelsky statt, der in einem Lissa unbekannten Ausschuss als Berater tätig war. Im Grunde kannte Lissa nicht einmal ihren Gastgeber, aber das spielte auch keine Rolle, solange seine Eltern nicht in der Stadt waren.
„Worauf soll ich aufpassen?“, fragte Lissa, während sie ihre Umgebung betrachtete. Der Hinterhof des Hauses wurde nur von Tiki-Fackeln und blinkenden Lichterketten erhellt. Speisen und Getränke gab es in Hülle und Fülle, und irgendein Moroi-Typ hatte eine Gitarre hervorgeholt und versuchte, die Mädchen mit seinen musikalischen Fähigkeiten zu beeindrucken – besser gesagt Un fähigkeiten. Denn seine Musik klang dermaßen fürchterlich, dass er womöglich eine neue Methode entdeckt hatte, Strigoi zu töten. Doch er war immerhin so attraktiv, dass seine Bewunderinnen sich offenbar gar nicht dafür interessierten, wie er spielte.
„Darauf“, erwiderte Avery und deutete auf Lissas Martini. „Behältst du eigentlich im Blick, wie viele von denen du in dich hineinkippst?“
„Wohl eher nicht, wenn du mich fragst“, meinte Adrian. Er lümmelte sich auf einem gepolsterten Loungesessel in der Nähe und hielt selbst einen Drink in der Hand.
Neben den beiden kam Lissa sich ein wenig amateurhaft vor. Avery blieb stets sie selbst, wild und kokett, und wirkte nie so durchgeknallt oder idiotisch wie jemand, der vollkommen hinüber war. Lissa wusste zwar nicht genau, wie viel Avery getrunken hatte, aber es war vermutlich eine ganze Menge, da sie eigentlich immer ein Glas in der Hand hielt. Gleichermaßen schien auch Adrian niemals ohne alkoholisches Getränk zu sein, was ihn jedoch lediglich ruhiger werden ließ. Lissa vermutete, dass die beiden im Vergleich zu ihr erheblich mehr Erfahrung hatten. Während sie im Laufe der Jahre ziemlich verweichlicht war.
„Mir geht’s gut“, log Lissa und beobachtete, wie sich alles um sie herum ein klein wenig drehte; sie zog ernsthaft in Erwägung, sich einigen Mädchen anzuschließen, die draußen im Hof auf den Tischen tanzten.
Averys Lippen zuckten zu einem Lächeln, obwohl ihre Augen ein wenig Besorgnis verrieten. „Klar. Sieh nur zu, dass dir nicht übel wird oder so. Solche Dinge sprechen sich herum, und niemand soll sagen können, dass Dragomir-Mädchen vertrage keinen Alkohol, nicht wahr? Deine Familie hat einen grimmigen Ruf zu wahren.“
Lissa leerte den Martini. „Irgendwie bezweifle ich, dass der Genuss von Alkohol etwas mit meiner illustren Familientradition zu tun hat.“
Avery schob Adrian beiseite und legte sich neben ihn auf den Liegesessel. „Na, du wirst dich noch wundern. In zehn Jahren sitzen diese Leute gleichberechtigt neben dir im Rat. Und wenn du versuchst, irgendeinen Erlass durchzusetzen, werden sie ungefähr so darauf reagieren: ‚Erinnert ihr euch noch an den Abend, als sie es auf dieser Party total übertrieben hat und sich dann auch noch übergeben musste?‘“
Lissa und Adrian mussten lauthals lachten. Lissa glaubte eigentlich nicht, dass ihr übel werden würde, aber darum wollte sie sich später kümmern, wie um alles andere auch. Das Positive an der ganzen Trinkerei war doch, dass sie ihr half, die Erinnerungen an das, was früher am Tag geschehen war, zu betäuben. Tatiana hatte Lissa
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