Vampire Academy 04
nicht Lissa.
Lissa hatte mich nicht aus ihrem Kopf gestoßen.
Avery hatte das getan.
24
Avery war eine Geistbenutzerin.
„Oh, Scheiße.“
Ich setzte mich wieder aufs Bett, mir schwirrte der Kopf. Ich hatte es nicht kommen sehen. Verdammt, niemand hatte es kommen sehen. Avery hatte ihre Sache gut gemacht, als sie allen vorspielte, eine Luftbenutzerin zu sein. Jeder Moroi konnte in jedem Element ein sehr geringes Maß an Kontrolle ausüben. Sie hatte gerade genug mit Luft hantiert, um es so aussehen zu lassen, als sei das ihr Spezialgebiet. Niemand hatte ihr weitere Fragen gestellt, denn, mal ehrlich, wer hätte je damit gerechnet, dass es in nächster Nähe noch einen weiteren Geistbenutzer gab? Und da sie die Schule bereits verlassen hatte, gab es auch keinen Grund, warum man sie weiter prüfen oder dazu zwingen sollte, ihre Fähigkeiten zu demonstrieren. Und es war auch niemand da, der sie dazu herausfordern würde.
Je länger ich darüber nachdachte, umso deutlicher erschienen mir all die kleinen Anzeichen dafür. Die charmante Persönlichkeit, die Tatsache, dass sie einfach jeden zu allem überreden konnte. Wie viele ihrer Begegnungen mit anderen wurden von Geist kontrolliert? Und war es möglich … war es möglich, dass Adrians Vernarrtheit in sie auf Zwang zurückzuführen war? Ich hatte eigentlich keinen Grund, darüber glücklich zu sein, aber … nun ja, ich war es trotzdem.
Viel wichtiger war jedoch: Was wollte Avery von Lissa? Es konnte sein, dass Avery Adrian unter Zwang setzte, damit er sie mochte. Er sah gut aus und kam aus einer wichtigen Familie. Er war der Großneffe der Königin, und obwohl Familienmitglieder des Monarchen den Thron nicht sofort nach dessen Tod erben konnten, hatte er eine gute Zukunft vor sich, eine, die stets dafür sorgen würde, dass er sich in den höchsten Gesellschaftskreisen bewegte.
Aber Lissa? Was für ein Spiel spielte Avery mit ihr? Was hatte sie zu gewinnen? Jetzt ergab Lissas Verhalten auch einen Sinn – der untypische Hang zu wilden Partys, verrückte Launen, Eifersucht, Streitereien mit Christian … Avery trieb Lissa in den Wahnsinn und nötigte sie, falsche Entscheidungen zu treffen. Avery benutzte irgendeine Art von Zwang, um Lissa aus dem Gleichgewicht zu werfen, um sie von allen und sich selbst zu entfremden und ihr Leben in Gefahr zu bringen. Warum? Was wollte Avery?
Doch das spielte eigentlich keine Rolle. Das Warum war nicht wichtig. Sondern das Wie. Und zwar die Frage, wie ich von hier wegkam und wieder zurück zu meiner besten Freundin.
Ich blickte an mir hinunter, auf das feine Seidenkleid, das ich trug. Plötzlich verabscheute ich es zutiefst. Es war ein Zeichen für das, was ich gewesen war, schwach und nutzlos. Ich zog es hastig aus und stöberte in meinem Kleiderschrank. Man hatte mir meine Jeans und das T-Shirt weggenommen, aber zumindest war mein Kapuzenshirt noch da. Ich zog das grüne Sweaterkleid an, weil es das Praktischste war, was ich besaß, und fühlte mich zumindest eine Spur leistungsfähiger. Dann zog ich das Kapuzenshirt darüber. Zwar kam ich mir damit noch lange nicht wie eine knallharte Kriegerin vor, aber ich fühlte mich dem Ganzen schon eher gewachsen. Hinreichend bekleidet für den Kampf, kehrte ich ins Wohnzimmer zurück und begann auf und ab zu tigern, was mir stets dabei half, klarer zu denken – nicht dass ich einen Grund gehabt hätte zu glauben, dass mir jetzt auf einmal neue Ideen kommen würden. Das hatte ich tagelang erfolglos versucht. Nichts würde sich ändern.
„Verdammt!“, schrie ich und fühlte mich nach diesem Ausbruch etwas besser. Wütend ließ ich mich auf den Schreibtischstuhl fallen, erstaunt darüber, dass ich ihn in meiner Frustration nicht einfach gegen die Wand geschleudert hatte.
Der Stuhl wackelte ein ganz klein wenig.
Stirnrunzelnd stand ich auf und musterte ihn. Alles in diesen Räumen war hochmodern und von bester Qualität. Seltsam, dass ich einen mangelhaften Stuhl abbekommen hatte. Ich kniete mich hin und untersuchte ihn genauer. Und siehe da, an einem der Stuhlbeine war ziemlich weit oben ein Riss. Ich starrte ihn an. Alle Möbel hier waren schier unzerstörbar, ohne augenfällige Fugen oder dergleichen. Ich sollte es wissen, wenn man bedachte, wie lange ich nach meiner Ankunft mit diesem Stuhl gegen die Wand geschlagen hatte. Meine Anstrengungen hatten nicht einmal eine Delle hinterlassen. Woher war dann dieser Riss gekommen? Ihn immer und immer wieder zerschmettern zu
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