Vampire Academy 05
mochten, die er sagte.
„Ich will dich nicht hier haben“, erklärte Dimitri entschieden. „Ich will dich nicht sehen.“
Ich nahm mir einen Moment Zeit, um mir eine Strategie zurechtzulegen. Dimitri verströmte noch immer diese depressive Hoffnungslosigkeit. Lissa war ihr mit Freundlichkeit und Mitgefühl begegnet. Sie hatte seine Abwehr durchbrochen, obwohl das zum großen Teil auch daran lag, dass er sie als seine Retterin betrachtete. Ich konnte es mit einer ähnlichen Taktik versuchen. Ich konnte sanft und hilfreich und voller Liebe sein – genauso empfand ich nämlich. Ich liebte ihn. Ich wollte ihm so gern helfen. Doch ich war mir nicht sicher, ob diese besondere Methode bei mir funktionieren würde. Rose Hathaway war nicht unbedingt für ihre sanfte Vorgehensweise bekannt. Ich appellierte jedoch an sein Pflichtgefühl.
„Du kannst mich doch nicht ignorieren“, sagte ich und versuchte, so leise zu sprechen, dass mich die anderen Wächter nicht hören konnten. „Du stehst in meiner Schuld. Ich habe dich gerettet.“
Einige Sekunden des Schweigens verstrichen. „Lissa hat mich gerettet“, erwiderte er bedächtig.
Zorn brannte in meiner Brust, genauso wie zu dem Zeitpunkt, als ich Lissas Besuch bei Dimitri beobachtet hatte. Wie konnte er sie so sehr schätzen, mich aber nicht?
„Was denkst du, wie sie zu diesem Punkt gelangt ist?“, fragte ich scharf. „Was glaubst du, wie sie gelernt hat, dich zu retten? Hast du auch nur die geringste Ahnung, was wir – was ich – durchmachen musste, um an diese Information heranzukommen? Du denkst, es sei verrückt von mir gewesen, nach Sibirien zu gehen? Glaub mir, du hast keinen blassen Schimmer, was Verrücktheit bedeutet. Du kennst mich doch. Du weißt, wozu ich fähig bin. Und diesmal habe ich meine eigenen Rekorde gebrochen. Du. Stehst. In. Meiner. Schuld.“
Es war zwar hart, aber ich brauchte unbedingt eine Reaktion von ihm. Irgendetwas Gefühlsmäßiges. Und ich bekam es. Er fuhr herum, seine Augen glitzerten, die Macht knisterte durch seinen Körper. Wie immer waren seine Bewegungen gleichzeitig wild und anmutig. Ebenso war seine Stimme eine Mischung aus Gefühlen: Zorn, Frustration und Sorge.
„Dann ist das Beste, was ich tun kann, wohl …“
Er erstarrte. Die braunen Augen, die vor Ärger schmal geworden waren, weiteten sich angesichts eines anderen Gefühls ganz plötzlich … Was? Erstaunen? Ehrfurcht? Oder vielleicht diese Benommenheit, die mich immer wieder befiel, wenn ich ihn sah?
Denn plötzlich war ich mir ziemlich sicher, dass er das Gleiche erlebte, was ich zuvor erlebt hatte. Er hatte mich in Sibiren viele Male gesehen. Er hatte mich erst neulich nachts im Lagerhaus gesehen. Aber jetzt … jetzt betrachtete er mich wahrhaft mit seinen eigenen Augen. Jetzt, da er kein Strigoi mehr war, war seine ganze Welt eine andere. Seine Perspektive und seine Gefühle waren anders. Selbst seine Seele war verändert.
Es war wie einer dieser Augenblicke, von denen manche Leute erzählten, in dem ihr ganzes Leben vor ihren Augen aufblitzte. Denn während wir einander anstarrten, lief vor meinem inneren Auge jeder Teil unserer Beziehung noch einmal ab. Ich erinnerte mich daran, wie stark und unbesiegbar er bei unserer ersten Begegnung gewirkt hatte: als er gekommen war, um dafür zu sorgen, dass Lissa und ich wieder unter die Fittiche der Moroi-Gesellschaft zurückkehrten. Ich erinnerte mich an die Sanftheit seiner Berührung, als er meine blutverschmierten, geschundenen Hände verbunden hatte. Ich erinnerte mich auch daran, wie er mich auf den Armen getragen hatte, nachdem mich Victors Tochter Natalie angegriffen hatte. Vor allem aber erinnerte ich mich an die Nacht, die wir zusammen in der Hütte verbracht hatten, kurz bevor ihn die Strigoi geholt hatten. Ein Jahr. Wir hatten einander nur ein Jahr gekannt, aber wir hatten ein ganzes Leben in dieser Zeitspanne gelebt.
Und er begriff das ebenfalls, das wusste ich, während er mich musterte. Sein Blick war geradezu allmächtig; er sog jede Einzelheit meines Anblicks auf und speicherte sie ab. Vage versuchte ich, mich darauf zu besinnen, wie ich heute aussah. Ich trug noch immer das Kleid von dem geheimen Treffen und wusste, dass es mir gut stand. Meine Augen waren wahrscheinlich blutunterlaufen, weil ich zuvor geweint hatte, und ich hatte nur Zeit gehabt, mir kurz die Haare zu bürsten, bevor ich mit Adrian aufgebrochen war.
Irgendwie bezweifelte ich, dass irgendetwas von alledem überhaupt eine
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