Vampire Academy 05
daher stellten sie keine Fragen.
Mikhail folgte uns auf dem Weg nach unten, und mein Herzschlag und meine Atmung beschleunigten sich. Dimitri. Gleich werde ich Dimitri sehen. Was würde ich sagen? Was würde ich tun? Es war fast schon zu viel, um es zu begreifen. Ich musste mich im Geiste immer wieder ohrfeigen, um mich zu konzentrieren, sonst würde ich in einen Zustand sprachlosen Schocks abgleiten.
Als wir den Flur erreichten, auf dem sich die Zellen befanden, sah ich zwei Wächter vor Dimitris Zelle stehen, einen am gegenüberliegenden Ende und zwei weitere an dem Eingang, durch den wir gekommen waren. Ich blieb stehen und fühlte mich bei dem Gedanken, dass andere mein Gespräch mit Dimitri mitanhören würden, unbehaglich. Ich wollte kein Publikum, wie Lissa es gehabt hatte, aber bei dem Nachdruck, den man hier auf Sicherheit legte, hatte ich vielleicht keine andere Wahl.
„Kann ich ein klein wenig Privatsphäre bekommen?“, fragte ich.
Einer meiner Begleiter schüttelte den Kopf. „Offizielle Order. Zwei Wächter müssen ständig an der Zelle postiert sein.“
„Sie ist selbst eine Wächterin“, bemerkte Mikhail milde. „Und ich bin auch einer. Lassen Sie uns gehen. Die Übrigen können an der Tür warten.“
Ich warf Mikhail einen dankbaren Blick zu. Ihn in der Nähe zu haben konnte ich gut ertragen. Die anderen kamen zu dem Schluss, dass uns wohl kaum Gefahr drohte, und sie zogen sich diskret an die Enden des Flurs zurück. Es war zwar keine absolute Privatsphäre, aber sie würden gewiss nicht alles hören.
Mein Herz platzte schier aus meiner Brust, als Mikhail und ich zu Dimitris Zelle hinübergingen. Er saß beinahe in der gleichen Haltung, wie er bei Lissas Eintreffen gesessen hatte: auf dem Bett, zusammengerollt, uns den Rücken zugewandt.
Die Worte steckten in meiner Kehle fest. Jeder zusammenhängende Gedanke floh aus meinem Kopf. Es war, als hätte ich den Grund für meinen Besuch hier an Ort und Stelle vollkommen vergessen.
„Dimitri“, sagte ich. Zumindest ist es das, was ich zu sagen versuchte. Meine Stimme kippte ein wenig, so dass die Geräusche, die aus meinem Mund kamen, verzerrt waren. Es schien jedoch auszureichen, denn Dimitris Rücken erstarrte plötzlich. Er drehte sich nicht um.
„Dimitri“, wiederholte ich, diesmal deutlicher. „Ich … bin es.“
Es war nicht nötig, mehr zu sagen. Er hatte gewusst, wer ich war, schon als ich das erste Mal versucht hatte, seinen Namen auszusprechen. Ich hatte das Gefühl, dass er meine Stimme in jeder Situation erkannt hätte. Wahrscheinlich kannte er das Geräusch meines Herzschlags und meiner Atmung. Wie die Dinge lagen, glaube ich, dass ich aufhörte zu atmen, während ich auf seine Antwort wartete. Als sie dann kam, war sie ein wenig enttäuschend.
„Nein.“
„Nein was?“, fragte ich. „Meinst du: Nein, ich bin es nicht?“ Frustriert stieß er den Atem aus, ein Geräusch, das beinahe – aber nicht ganz – so war wie das, das er von sich gegeben hatte, wenn ich während unseres Trainings etwas besonders Lächerliches getan hatte.
„Es heißt eher: Nein, ich will dich nicht sehen.“ Seine Stimme war belegt, so aufgewühlt musste er sein. „Sie sollten dich nicht hereinlassen.“
„Ja. Nun, ich habe aber doch irgendwie eine Möglichkeit gefunden, das zu umgehen.“
„Natürlich hast du das.“
Er wollte sich mir noch immer nicht zuwenden, was quälend war. Ich sah zu Mikhail hinüber, der mir ermutigend zunickte. Wahrscheinlich sollte ich froh darüber sein, dass Dimitri überhaupt mit mir sprach.
„Ich musste dich sehen. Ich musste wissen, ob es dir gut geht.“
„Ich bin mir sicher, dass dich Lissa bereits auf den neuesten Stand gebracht hat.“
„Ich musste es mit eigenen Augen sehen.“
„Also gut, jetzt siehst du es.“
„Alles, was ich sehe, ist dein Rücken.“
Es trieb mich in den Wahnsinn, doch jedes Wort, das ich aus ihm herausbekam, war ein Geschenk. Es fühlte sich an, als seien tausend Jahre vergangen, seit ich das letzte Mal seine Stimme gehört hatte. Wie zuvor fragte ich mich, wie ich den Dimitri in Sibirien jemals mit diesem hier hatte verwechseln können. Seine Stimme war an beiden Orten identisch gewesen, die gleiche Tonlage und der gleiche Akzent, doch als Strigoi hatten seine Worte immer ein Frösteln in der Luft zurückgelassen. Dies jetzt wirkte aber warm. Honig und Samt und alle möglichen wunderbaren Dinge hüllten mich ein, ganz gleich, wie schrecklich die Worte auch sein
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