Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
aber ihren Bemühungen lag nicht mehr die übernatürliche Stärke eines untoten Ungeheuers auf der Suche nach Rache zugrunde. Es waren eher die Bewegungen einer Person, die verzweifelt schien und schreckliche Angst haben musste.
Ich hatte diese Ketten ziemlich gut befestigt, aber Dimitri hatte sie binnen weniger Sekunden gelöst. Sobald Sonya frei war, setzte er sich in den Sessel und zog sie an sich. Sie bettete das Gesicht an seine Brust und schluchzte. Ich schluckte. Auch Dimitri hatte geweint, als er zurückverwandelt worden war. Ein seltsames Bild von neugeborenen Säuglingen blitzte in mir auf. War Weinen die natürliche Reaktion eines jeden Wesens, das geboren – oder in diesem Fall wiedergeboren – wurde?
Eine plötzliche Bewegung erregte meine Aufmerksamkeit. Sydneys Augen waren groß geworden, und sie ging tatsächlich zu Dimitri hin – um ihn an seinem Tun zu hindern. „Was machen Sie da?“, rief sie. „Sie dürfen sie doch nicht loslassen!“
Dimitri beachtete Sydney gar nicht, und ich zog sie zurück. „Schon in Ordnung, es ist schon in Ordnung“, sagte ich. Sydney war der stabilste Faktor in dieser ganzen Operation. Ich durfte nicht zulassen, dass sie durchdrehte. „Sie ist keine Strigoi mehr. Sieh hin! Schau sie dir an! Sie ist jetzt eine Moroi.“
Sydney schüttelte langsam den Kopf. „Das ist unmöglich. Ich habe sie gerade noch gesehen.“
„Dasselbe ist mit Dimitri auch schon geschehen. Genau dasselbe. Du hältst ihn doch nicht für einen Strigoi, oder? Du vertraust ihm.“ Ich ließ sie los, und sie blieb, wo sie war, zeigte jedoch nach wie vor Argwohn.
Als ich einen Blick auf die beiden Brüder da unten warf, wurde mir klar, dass ihre Situation vielleicht ernster war, als ich zunächst gedacht hatte. Robert war zwar kein Strigoi, sah aber ebenso bleich wie einer aus. Sein Blick war leer, Speichel floss ihm aus dem halb geöffneten Mund. Ich kam zu einer anderen Einschätzung meiner Überlegung, dass Roberts Vorgehensweise die Wiederherstellung eines Strigoi als einfache Sache erscheinen ließ. Er hatte den Pflock wie ein Profi gehandhabt, doch es gab offensichtlich einige Nebenwirkungen. Victor versuchte, seinen Bruder zu stützen, und murmelte besänftigende, ermutigende Worte. Auf Victors Gesicht .... na ja, dort zeigten sich Mitgefühl und Furcht, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Ich wusste nicht so recht, wie ich das mit meinem begründeten Bild von ihm als einem Schurken in Einklang bringen sollte. Im Augenblick machte er den Eindruck einer wahrhaftigen Person.
Victor sah zu mir auf, und um seine Lippen zuckte ein bitteres Lächeln. „Was, keine Witzchen mehr? Sie sollten sich glücklich schätzen. Wir haben Ihnen gegeben, was Sie wollten. Sie brauchen Antworten von Sonya Karp?“ Er deutete mit dem Kopf auf sie. „Gehen Sie hin, und holen Sie sich welche! Der Preis dafür war gewiss verdammt hoch!“
„Nein!“, rief Dimitri. Er hielt Sonya noch immer an sich gedrückt, aber bei Victors Worten wurde seine sanfte Miene doch härter. „Sind Sie verrückt? Haben Sie nicht gesehen, was gerade geschehen ist?“
Victor zog eine Augenbraue hoch. „Doch. Ist mir aufgefallen.“
„Sie ist jetzt nicht in der Verfassung, Fragen zu beantworten! Sie steht unter Schock. Lassen Sie sie in Ruhe!“
„Tun Sie doch nicht so, als sei sie diejenige, die hier leidet“, fauchte Victor. Dann drehte er sich wieder zu seinem Bruder um und half ihm, aufzustehen und zum Sofa zu gehen. Robert schaffte es kaum; seine Beine zitterten und gaben unter ihm nach, während er sich hinsetzte. Victor legte einen Arm um ihn. „Es wird dir bald besser gehen. Alles ist gut.“
„Wirklich?“, fragte ich unsicher. Robert sah eigentlich nicht so aus, als sei er in einer allzu guten Verfassung. Meine Überlegungen von eben, dass Geistbenutzer Strigoi retten könnten, wurden immer unrealistischer. „Er .... er hat es schon früher getan und sich auch wieder erholt, nicht wahr? Und Lissa geht es gut.“
„Robert war damals wesentlich jünger – genauso wie Vasilisa“, erwiderte Victor und tätschelte Robert die Schulter. „Und das ist nicht gerade ein einfacher Zauber. Es ist ungeheuerlich, ihn auch nur ein einziges Mal anzuwenden. Zweimal? Na ja, Sie und ich, wir wissen ja beide, wie Geist funktioniert, und diese Leistung fordert sowohl vom Körper als auch vom Bewusstsein ihren Tribut. Robert hat ein großes Opfer für Sie gebracht.“
Das hatte er wohl tatsächlich. „Ich danke
Weitere Kostenlose Bücher