Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
sein.
Nein .... da war doch etwas. Ganz schwach. In ihrem Bewusstsein spürte ich Gedanken, die sie noch immer vor mir verborgen hielt. Jedes Mal, wenn ich sie zu fassen versuchte, rutschten sie mir aus den Händen. Ich war erstaunt, dass sie für so etwas noch immer genug Magie aufbringen konnte, und es war auch ein deutlicher Hinweis dafür, dass sie mich gestern bewusst abgeblockt hatte. Was war da los? Warum um alles in der Welt sollte sie etwas vor mir verbergen wollen? Was konnte ich denn schon tun, eingesperrt in diesem Dreckloch hier? Erneut schwoll mein Unbehagen an. Von welcher schrecklichen Sache hatte ich keine Ahnung?
Ich sah zu, wie sich Lissa fertig machte, und entdeckte keinen einzigen Hinweis auf etwas Ungewöhnliches. Am Ende hatte sie ein knielanges Kleid mit Flügelärmeln ausgewählt. Natürlich war es schwarz. Zwar kaum ein Ausgehkleid, aber einige Leute würden gewiss die Augenbrauen hochziehen. Unter anderen Umständen wäre ich darüber ganz entzückt gewesen. Sie entschied sich dafür, das Haar offen zu tragen, und als sie sich im Spiegel musterte, hob sich das helle Blond leuchtend vor dem schwarzen Hintergrund des Kleides ab.
Christian wartete draußen auf Lissa. Er hatte sich herausgeputzt, das musste ich zugeben, und trug entgegen seiner sonstigen Gewohnheit ein Smokinghemd mit Krawatte. Offenbar hatte er die Grenze bei einem Jackett gezogen, und sein Gesicht zeigte eine seltsame Mischung aus Nervosität, Heimlichtuerei und der üblichen Geringschätzung. Bei Lissas Anblick veränderte sich sein Ausdruck jedoch für einen Moment und zeigte Ehrfurcht. Er schenkte ihr ein kleines Lächeln und nahm sie kurz in die Arme. Bei seiner Berührung empfand sie Zufriedenheit und Trost, und das schwächte ihre Furcht etwas ab. Sie waren nach einer Trennung erst kürzlich wieder zusammengekommen, und diese Zeit ohne einander muss für sie beide eine Qual gewesen sein.
„Wird schon werden“, murmelte er und zeigte sich wieder besorgt. „Das funktioniert bestimmt. Wir schaffen es.“
Sie erwiderte nichts, sondern drückte ihn nur fester an sich, bevor sie zurücktrat. Beide schwiegen, als sie sich auf den Weg zum Begräbnis begaben. Mir kam ihr Verhalten äußerst verdächtig vor. Sie griff nach seiner Hand und fühlte sich dadurch gestärkt.
Die Begräbnisprozeduren für die Monarchen der Moroi waren seit Jahrhunderten unverändert geblieben, ob sich der Hof nun in Rumänien befunden hatte oder in seiner neuen Heimat in Pennsylvania. So waren die Moroi nun einmal. Sie vermischten Tradition mit Moderne, Magie mit Technologie.
Der Sarg der Königin würde von Sargträgern aus dem Palast geholt und unter großem Zeremoniell über die gesamte Hofanlage bis zur imposanten Kathedrale getragen werden. Dort würde eine handverlesene Gruppe an der Messe teilnehmen. Nach dem Gottesdienst würde Tatiana auf dem Friedhof der Kirche beigesetzt werden und ihren Platz neben anderen Monarchen und wichtigen Royals einnehmen.
Der Weg, den der Sarg zu nehmen hätte, war leicht zu erkennen. Zu beiden Seiten erhoben sich Pfähle mit schwarzen und roten Seidenbannern. Rosenblätter waren ausgestreut worden. Am Rand standen dicht gedrängt die Menschen, die hofften, einen Blick auf ihre ehemalige Königin erhaschen zu können. Viele Moroi waren von fernen Orten gekommen, einige aus Anlass des Begräbnisses, andere aber, weil sie die Wahl des neuen Monarchen verfolgen wollten, die in den nächsten Wochen stattfinden würde.
Die Eskorte der königlichen Familien – die meisten trugen schwarzen Samt, gebilligt von der Verkäuferin – war bereits auf dem Weg in das Palastgebäude. Lissa blieb draußen stehen und verabschiedete sich von Christian, der gewiss niemals zuvor als Vertreter seiner Familie bei einem so ehrenvollen Ereignis mit dabei gewesen war. Sie umarmte ihn noch einmal heftig und gab ihm einen leichten Kuss. Als sie dann auseinandertraten, glitzerten seine Augen wissend – offenbar aufgrund des Geheimnisses, das mir verborgen blieb.
Lissa schob sich durch die hereinströmende Menge und versuchte, zum Eingang zu gelangen und den Ausgangspunkt der Prozession zu finden. Das Gebäude sah nicht so aus wie die Paläste oder Burgen im alten Europa. Seine prachtvolle steinerne Fassade und die bodenlangen Fenster passten zu den anderen Bauten des Hofes, aber aufgrund einiger Merkmale – zum Beispiel der hohen, breiten Marmortreppe – unterschied es sich untergründig von anderen Gebäuden. Jemand zupfte
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