Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
Moroi nicht wie die Strigoi, aber trotzdem waren Hitze und Sonnenlicht jedem Vampir unangenehm. Die Prozession schien nun fast zu Ende, und Lissa würde als eine von jenen, denen die Teilnahme am Gottesdienst gestattet war, schon bald in den Genuss angenehmerer Temperaturen kommen.
Während ich die Umgebung betrachtete, kam ich nicht umhin, mir zu überlegen, was für ein Zirkel der Ironie mein Leben doch war. An den Seiten des weitläufigen Geländes der Kirche standen zwei riesige Statuen, die alte Moroi-Monarchen aus den Legenden zeigten, einen König und eine Königin, die ihrerseits für das Gedeihen und Wachstum der Moroi gesorgt hatten. Obwohl ein gutes Stück von der Kirche entfernt, ragten die Statuen unheilverkündend auf, als musterten sie gerade alles. In der Nähe der Königin lag ein Garten, der mir wohlbekannt war. Als Strafe dafür, dass ich nach Las Vegas davongelaufen war, hatte ich ihn gestalten müssen. Mein wahres Ziel dieses Abstechers – das niemand kannte – war es gewesen, Victor Dashkov aus dem Gefängnis zu befreien. Victor war seit langen Jahren unser Feind, aber er und sein Bruder Robert, ein Anwender von Geist, hatten das Wissen gehabt, das wir zur Rettung Dimitris brauchten. Hätte ein Wächter herausgefunden, dass ich Victor befreit – und ihn dann später verloren – hatte, so wäre meine Strafe weitaus härter gewesen als Archivieren und Gartenarbeit. Zumindest hatte ich meine Sache in dem Garten gut gemacht, dachte ich verbittert. Wenn ich nun tatsächlich hingerichtet würde, hätte ich zumindest einen bleibenden Eindruck bei Hofe hinterlassen.
Lissas Blick verweilte lange auf einer der Statuen, bevor sie sich wieder der Kirche zuwandte. Sie schwitzte jetzt stark, und ich begriff, dass es nicht nur an der Hitze lag. Außerdem verspürte sie Angst. Aber warum? Warum war sie so nervös? Dies war doch nur eine Zeremonie. Sie brauchte lediglich zu tun, was man von ihr erwartete. Doch .... da war es wieder. Etwas anderes machte ihr zu schaffen. Sie hielt noch immer etliche Gedanken vor mir verborgen, aber einige durchdrangen ihre Barriere eben doch, während sie sich Sorgen machte.
Zu nah, zu nah. Wir sind viel zu schnell.
Schnell? Nicht meiner Einschätzung nach. Ich wäre mit diesem langsamen, gemessenen Schritt niemals zurechtgekommen. Mein besonderes Mitgefühl galt den Sargträgern. Wäre ich einer von ihnen gewesen, so hätte ich allen Anstand in den Wind geschickt und wäre auf mein Ziel zugerannt. Natürlich wäre der Leichnam im Sarg dabei vielleicht verrutscht. Wenn die Zeremonienmeisterin sich schon wegen Lissas Kleid so aufgeregt hatte, dann ließ sich unmöglich sagen, wie sie reagiert hätte, wäre Tatiana aus dem Sarg gefallen.
Wir bekamen die Kathedrale immer deutlicher in den Blick; ihre Kuppeln leuchteten in der untergehenden Sonne bernstein- und orangefarben. Lissa war noch immer mehrere Meter entfernt, aber den Priester an der Spitze der Prozession konnte man bereits deutlich erkennen. Seine Roben waren beinahe blendend hell. Sie bestanden aus schwerem, glitzerndem Goldbrokat und waren lang und voll. Auf seinem Kopf prangte ein runder Hut mit einem Kreuz, das ebenfalls aus Gold bestand. In meinen Augen zeugte es von schlechtem Geschmack, dass er eine bessere Kleidung trug als die Königin, aber vielleicht war das eben einfach das, was Priester bei formellen Anlässen taten. Vielleicht erregte es Gottes Aufmerksamkeit. Er hob die Arme zu einem Willkommensgruß und zeigte dabei noch mehr von diesem kostbaren Stoff. Die restliche Menge und ich mussten dieses umwerfende Schauspiel einfach anstarren.
Jeder kann sich also unsere Überraschung vorstellen, als die Statuen auf einmal in die Luft flogen.
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Und wenn ich sage, sie flogen in die Luft, dann meine ich: Sie flogen tatsächlich in die Luft.
Flammen und Rauch entfalteten sich wie die Blütenblätter einer Blume, als diese armen Monarchen explodierten und Steinbrocken umherflogen. Einen Moment lang war ich sprachlos. Es war wie in einem Actionfilm: Die Luft erbebte, und der Boden erzitterte. Dann kam die Ausbildung der Wächter zum Einsatz. Kritische Beobachtung und Berechnung gewannen die Oberhand. Mir fiel sofort auf, dass der größte Teil der Statuen zu den äußeren Gärten hinüberflog. Zwar regneten kleinere Steine und Staub auch auf die Prozession herab, aber keine großen Felsbrocken trafen Lissa oder sonst jemanden in der Nähe. Vorausgesetzt, dass die Statuen nicht spontan explodiert waren,
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