Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
ergänzte Mikhail, ganz dem Spiel entsprechend. „Vor allem, wenn man bedenkt, wie er in der letzten Woche für dich gekämpft hat. Wirklich, alle werden denken, er hätte dich da allein rausgeholt. Ohne uns.“
Dimitri äußerte sich gar nicht. Obwohl er unsere Umgebung immer noch wachsam im Auge behielt, musterte er nun auch mich. Er überzeugte sich davon, dass es mir gut ging und ich unverletzt war. Er schien erleichtert zu sein, dass alles in Ordnung war.
„Kommt“, sagte Dimitri schließlich. „Wir haben nicht so viel Zeit.“ Das war zwar eine Untertreibung, aber eins machte mir an dem brillanten Plan meiner Freunde doch zu schaffen.
„Sie werden auf keinen Fall denken, er hätte es allein getan!“, rief ich, als ich begriff, worauf Mikhail hinauswollte. Sie wollten Dimitri als den Schuldigen an dieser Flucht hinstellen. Ich deutete auf die bewusstlosen Wächter zu unseren Füßen. „Sie haben eure Gesichter gesehen.“
„Nicht so richtig“, ertönte da eine neue Stimme. „Nicht nach etwas geistinduzierter Amnesie. Wenn sie aufwachen, ist die einzige Person, an die sie sich erinnern können, dieser labile Russe. Nichts für ungut.“
„Kein Problem“, erwiderte Dimitri, als Adrian eintrat.
Ich riss die Augen auf und gab mir Mühe, nicht auch noch den Mund vor Staunen aufzureißen. Dann standen sie Seite an Seite, die beiden Männer in meinem Leben. Adrian sah kaum so aus, als könnte er sich in einen Faustkampf stürzen, aber er wirkte genauso wachsam und ernst wie die anderen Kämpfer hier. Seine schönen Augen waren klar und voll jener Klugheit, die sie ausdrücken konnten, wenn er sich einmal wirklich anstrengte. Das war der Moment, in dem ich es begriff: Er zeigte nicht das geringste Anzeichen von Betrunkenheit. War denn das, was ich neulich gesehen hatte, eine List gewesen? Oder hatte er sich gewaltsam zusammengerissen? So oder so, ich spürte jedenfalls, wie sich allmählich doch ein Grinsen auf meinem Gesicht ausbreitete.
„Lissa hat deine Mom vorhin angelogen“, sagte ich. „Angeblich bist du betrunken und liegst irgendwo bewusstlos rum.“
Er belohnte mich mit dem zynischen Lächeln, das für ihn so typisch war. „Na ja, das wäre im Augenblick wahrscheinlich die klügere – wohl auch vergnüglichere – Beschäftigung. Und hoffentlich denken so auch alle anderen.“
„Wir müssen los“, sagte Dimitri, der währenddessen immer aufgeregter wurde.
Wir wandten uns zu ihm um. Unsere Witzeleien lösten sich in Luft auf. Dass Dimitri diese Überzeugung ausstrahlte, ihm würde alles gelingen und er werde einen jederzeit zum Sieg führen, veranlasste die Menschen, ihm bedingungslos zu folgen. Der Ausdruck auf Mikhails und Eddies Gesicht – die jetzt wieder ernst wurden – ließ erkennen, dass sie genauso empfanden. Auch für mich schien dies natürlich zu sein. Selbst Adrian machte den Eindruck, er glaube an Dimitri, und in diesem Augenblick bewunderte ich Adrian dafür, dass er jegliche Eifersucht beiseiteschob – und sich zudem derart in Gefahr brachte. Vor allem, weil Adrian mehr als einmal klargestellt hatte, dass er nichts mit irgendwelchen gefährlichen Abenteuern zu tun haben oder seinen Geist auf verstohlene Weise einsetzen wolle. Nach Las Vegas hatte er uns zum Beispiel lediglich noch in der Rolle des Beobachters begleitet. Natürlich war er auch die meiste Zeit über betrunken gewesen, allerdings machte das wahrscheinlich nicht mal einen Unterschied.
Ich trat einige Schritte vor, doch Adrian streckte plötzlich eine Hand aus, um mich aufzuhalten. „Warte – bevor du mit uns gehst, musst du etwas wissen.“ Dimitri, dessen Augen voller Ungeduld funkelten, setzte zu einem Protest an. „Sie muss es wissen“, wandte Adrian ein und erwiderte Dimitris Blick sehr fest. „Rose, wenn du fliehst .... gestehst du damit mehr oder weniger deine Schuld ein. Du wirst ein Flüchtling sein. Wenn dich die Wächter finden, werden sie dich ohne Verhandlung oder Verurteilung auf der Stelle töten.“
Vier Augenpaare ruhten auf mir, während mir die volle Bedeutung von Adrians Worten bewusst wurde. Wenn ich jetzt weglief und gefangen wurde, dann war ich mit Sicherheit tot. Wenn ich blieb, hatte ich die winzige Chance, dass wir in der kurzen Zeit vor meiner Verhandlung vielleicht noch Beweise finden würden, die mich retten konnten. Es war nicht ganz unmöglich. Aber wenn sich nichts ergab, war ich ebenfalls mit Sicherheit tot. Beide Möglichkeiten stellten ein Vabanquespiel dar.
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