Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
„Willst du .... willst du mich denn bei den Zeremonien dabeihaben?“
Die Frage hing in der Luft. Es war eine gute Frage. Es war ja auch der Grund, warum wir hierhergekommen waren. Aber wollte Lissa es wirklich? Während ich sie betrachtete, war ich mir immer noch nicht sicher. Ich wusste nicht, ob sie lediglich das Protokoll befolgte und Jill dazu bewegen wollte, eine Rolle zu spielen, wie sie in einer königlichen Familie erwartet wurde. In diesem Fall gab es kein Gesetz, demzufolge Jill irgendetwas tun musste. Sie brauchte lediglich zu existieren.
„Ja“, antwortete Lissa schließlich. Ich hörte die Wahrheit in ihren Worten, und etwas in mir wurde sofort leichter. Lissa wollte Jill nicht nur um des Images willen. Ein Teil von Lissa wollte Jill in ihrem Leben haben – aber es würde schwierig sein, das auch wirklich hinzubekommen. Trotzdem, es war immerhin ein Anfang, und Jill schien es zu begreifen.
„In Ordnung“, erklärte sie. „Sagt mir nur, was ich tun muss.“ Da kam mir der Gedanke, dass Jills Jugend und Nervosität vielleicht trügerisch waren. Es gab Funken von Tapferkeit und Kühnheit in ihr, Funken, die bestimmt noch mehr werden würden, da war ich mir sicher. Schließlich war sie eine echte Dragomir.
Lissa wirkte erleichtert, aber das lag wohl auch daran, dass sie bei ihrer Schwester einen winzigen Fortschritt erzielt hatte. Es hatte nichts mit der Krönung zu tun. „Jemand anders wird dir alles erklären. Um ehrlich zu sein, ich weiß wirklich nicht genau, was du tun sollst. Aber Rose hat recht. Es wird bestimmt nicht schwierig werden.“
Jill nickte nur.
„Danke“, sagte Lissa. Sie stand auf, und sowohl Jill als auch ich erhoben uns. „Ich .... ich weiß das wirklich zu schätzen.“
Die Verlegenheit kehrte zurück, als wir drei dort standen. Es wäre ein guter Augenblick für die Schwestern gewesen, sich in die Arme zu nehmen, aber obwohl sich beide offenbar über ihre Fortschritte freuten, waren sie doch noch nicht bereit dafür. Wenn Lissa Jill anschaute, sah sie immer wieder ihren Vater mit einer anderen Frau. Wenn Jill Lissa anblickte, konnte sie ihr Leben sehen, das vollkommen auf den Kopf gestellt worden war – ein Leben, das früher einmal reserviert und privat verlaufen war und das jetzt die ganze Welt angaffen konnte. Ich hatte keine Möglichkeit, ihr Schicksal zu ändern, aber umarmen konnte ich sie. Ungeachtet meiner Nähte legte ich die Arme um das junge Mädchen.
„Danke“, sagte ich dann auch. „Sicher wird alles gut werden. Du wirst schon sehen.“
Jill nickte wieder, und da es zu diesem Zeitpunkt nichts mehr zu besprechen gab, gingen Lissa und ich auf die Tür zu. Jills Stimme ließ uns innehalten.
„He .... und was geschieht dann nach der Krönung? Mit mir? Mit uns?“
Ich sah Lissa von der Seite an. Eine weitere gute Frage. Lissa drehte sich zu Jill um, vermied jedoch immer noch den direkten Blickkontakt. „Wir werden .... wir werden uns gegenseitig besser kennenlernen. Alles wird gut werden.“
Das Lächeln, das nun auf Jills Gesicht erschien, war echt – zwar mehr eine Andeutung, aber echt. „In Ordnung“, sagte sie. In diesem Lächeln lag auch Hoffnung. Hoffnung und Erleichterung. „Das würde mich freuen.“
Ich meinerseits musste ein Stirnrunzeln unterdrücken. Offenbar konnte ich auch ohne das Band auskommen, weil ich mit absoluter Sicherheit erkannte, dass Lissa nicht die ganze Wahrheit sagte. Was verschwieg sie Jill? Lissa wollte, dass es besser wurde, davon war ich überzeugt, selbst wenn sie nicht genau wusste, wie das zu bewerkstelligen sein würde. Aber da war noch etwas .... vermutlich etwas ganz Kleines, das Lissa weder Jill noch mir offenbarte, etwas, das mich auf die Idee brachte, dass Lissa nicht wirklich daran glaubte, dass sich die Dinge bessern würden.
Wie aus dem Nichts hallte ein seltsames Echo von Victor Dashkovs Worten durch meinen Kopf, die er einmal über Jill gesagt hatte. Wenn sie nur einen Funken Verstand hat, wird Vasilisa sie wegschicken.
Ich wusste nicht, warum mir das jetzt wieder eingefallen war, aber der Gedanke jagte mir einen Schauder über den Rücken. Die Schwestern brachten beide ein Lächeln zustande, und auch ich schloss mich diesem Lächeln hastig an, schon darum, weil ich nicht wollte, dass einer von ihnen meine Sorgen auffielen. Danach verließen Lissa und ich den Raum und kehrten in mein Zimmer zurück. Der kleine Ausflug war ermüdender gewesen, als ich erwartet hatte, und so ungern ich es zugab,
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