Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
musterte sie argwöhnisch, nicht bereit, in meiner Wachsamkeit nachzulassen.
„Schön“, sagte sie. „Ich schätze, es ist okay so. Meinetwegen.“
„Hm? Was ist okay?“, fragte ich.
„Es ist okay, wenn du meinen Bruder heiratest.“
13
„Das ist nicht witzig!“
„Du hast recht“, stimmte mir Sydney zu. „Das ist nicht witzig. Es ist zum Schreien komisch.“
Wir waren wieder in Raymonds Haus, in der Ungestörtheit unseres Zimmers. Es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis wir von den Festivitäten am Feuer weggekommen waren, insbesondere, nachdem wir eine schreckliche Tatsache über eine bestimmte Sitte der Hüter in Erfahrung gebracht hatten. Na ja, ich zumindest fand die Sitte schrecklich. Es hatte folgende Bewandtnis damit: Vor jeder Heirat musste die Braut oder der Bräutigam die Sache mit dem jeweils nächsten Angehörigen ihres oder seines zukünftigen Partners ausfechten, wobei der Gegner dem gleichen Geschlecht angehören musste. Angeline hatte Joshuas Interesse vom Moment meiner Ankunft an gespürt, und beim Anblick des Armbands war sie davon ausgegangen, dass wir zu einer Übereinkunft gekommen waren. Daher fiel es ihr als seiner Schwester zu, sich davon zu überzeugen, dass ich seiner auch würdig war. Sie mochte mich immer noch nicht und vertraute mir auch nicht ganz, aber weil ich mich als tüchtige Kämpferin erwiesen hatte, war ich in ihrer Achtung gestiegen, und sie hatte ihre Zustimmung zu unserer Verlobung gegeben. Anschließend war viel Zungenfertigkeit nötig gewesen, um alle – Joshua eingeschlossen – davon zu überzeugen, dass es gar keine Verlobung gab. Andernfalls, so hatte ich erfahren, hätte Dimitri als mein Verwandter einspringen und gegen Joshua kämpfen müssen.
„Hör auf damit!“, schimpfte ich ihn aus. Dimitri lehnte an einer Wand, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah nun zu, wie ich mir den Wangenknochen an der Stelle rieb, wo Angeline mich getroffen hatte. Zwar war es kaum die schlimmste Verletzung, die ich je davongetragen hatte, aber einen blauen Fleck hätte ich am folgenden Tag ganz bestimmt. Auf Dimitris Gesicht lag ein kleines Lächeln.
„Ich hab dir doch gesagt, dass du ihn nicht ermutigen sollst“, kam seine gelassene Antwort.
„Na, und wenn schon! Du hast das nicht kommen sehen. Du wolltest einfach nicht, dass ich .... “ Ich schluckte die nächsten Worte hinunter. Ich würde nicht aussprechen, was ich dachte: dass Dimitri eifersüchtig war. Oder besitzergreifend. Oder was auch immer. Ich wusste einfach, dass ihn mein freundlicher Umgang mit Joshua geärgert hatte .... und dass er meine Entrüstung über Angelines Angriff äußerst erheiternd fand. Abrupt wandte ich mich zu Sydney um, die sich ebenso amüsierte wie Dimitri. Eigentlich war ich mir sogar ziemlich sicher, dass ich sie noch nie so viel hatte lächeln sehen. „Hast du diese Sitte gekannt?“
„Nein“, gab sie zu, „aber sie überrascht mich gar nicht. Ich hatte dir doch gesagt, dass es Wilde sind. Viele der üblichen Probleme werden mit solchen Kämpfen geregelt.“
„Das ist aber blöd“, erwiderte ich. Mein Jammerton war mir ziemlich egal. Ich berührte meine Kopfhaut und wünschte, ich hätte einen Spiegel gehabt, um festzustellen, ob mir Angeline ein sichtbares Büschel Haare ausgerissen hatte. „Obwohl .... sie war gar nicht schlecht. Ungeschliffen zwar, aber nicht schlecht. Sind sie alle so zäh? Die Menschen und auch die Moroi?“
„Soweit ich weiß, ja.“
Ich grübelte darüber nach. Die Vorfälle waren ebenso ärgerlich wie peinlich gewesen, aber ich musste zugeben, dass die Hüter plötzlich viel interessanter geworden waren. Welche Ironie, dass eine so hinterwäldlerische Bande so weitsichtig sein konnte, alle in den Kampftechniken zu unterweisen, ungeachtet ihrer Rasse. Unterdessen wollte meine eigene aufgeklärte Kultur immer noch keine Verteidigungstechniken lehren.
„Und das ist auch der Grund dafür, weshalb die Strigoi sie nicht belästigen“, murmelte ich bei der Erinnerung an das Frühstück. Mir war nicht einmal bewusst, was ich gesagt hatte, bis Dimitris Lächeln erlosch. Grimmig sah er zum Fenster hinüber.
„Ich sollte noch einmal mit Boris sprechen und feststellen, was er herausgefunden hat.“ Er wandte sich wieder an Sydney. „Es wird nicht lange dauern. Wir müssen nicht alle fahren. Soll ich einfach Ihren Wagen nehmen? Schließlich ist es ja nicht weit.“
Sie zuckte die Achseln und griff nach ihren Schlüsseln. Wir hatten
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