Vampire bevorzugt
mitgenommen, sondern sie in die Schule geschickt. Aber dennoch sah ich hier mit Sicherheit das, wovon Alcide mir erzählt hatte: Unfruchtbarkeit und eine hohe Kindersterblichkeit plagten die Werwolf-Gemeinde.
Alcides jüngere Schwester Janice hatte einen normalen Mann geheiratet. Sie selbst konnte ihre Gestalt nicht verwandeln, da sie nicht das erstgeborene Kind war. Die genetisch zurückgedrängten Werwolfanlagen ihres Sohnes, so hatte Alcide gesagt, würden sich vielleicht als gesteigerte Vitalität oder große Heilkraft ausprägen. Viele Profisportler stammten aus Familien, in deren genetischen Anlagen sich ein gewisser Prozentsatz Werwolfblut befand.
»Eine Sekunde noch«, murmelte Alcide, der neben mir stand und die Gesichter musterte, die vorüberkamen.
»Ich werde dich umbringen nachher«, sagte ich zu ihm mit völlig gelassener Miene, schließlich gingen all die Werwölfe an uns vorüber. »Warum hast du mir das hier nicht erklärt?«
Der große Mann kam die Stufen hinauf, seine Arme schwangen beim Gehen hin und her, und er bewegte seinen kräftigen Körper entschlossen und würdevoll. Er drehte seinen Kopf zu mir herum, als er vorbeiging, und ich sah ihm in die Augen. Sie waren auffallend dunkel, aber die Farbe konnte ich immer noch nicht erkennen. Er lächelte mich an.
Alcide berührte meine Hand, als wüsste er, dass meine Aufmerksamkeit abgeschweift war. Er beugte sich herab, um mir ins Ohr zu flüstern. »Ich brauche deine Hilfe. Ich brauche dich, weil ich nach der Beerdigung unbedingt wissen muss, was in Patricks Gedanken vor sich geht. Er hat irgendwas vor, um meinen Vater zu sabotieren.«
»Warum hast du mich nicht einfach darum gebeten?« Ich war verwirrt, aber vor allem war ich verletzt.
»Ich dachte, du wärst auch der Meinung, dass du mir noch einen Gefallen schuldest!«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Ich weiß, dass du Debbie getötet hast.«
Eine Ohrfeige von ihm hätte mich nicht stärker schockieren können. Keine Ahnung, was für eine Miene ich machte. Nachdem der erste Schock und das unwillkürlich folgende Schuldgefühl etwas abgeklungen waren, sagte ich: »Du hattest dich von ihr losgesagt. Was hat das also mit dir zu tun?«
»Nichts«, erwiderte Alcide. »Nichts. Für mich war sie bereits tot.« Das nahm ich ihm keine Sekunde lang ab. »Aber du dachtest, es würde mir sehr viel ausmachen, und hast es vertuscht. Ich dachte, du kämst selbst darauf, dass du mir einen Gefallen schuldest.«
Wenn ich eine Pistole in der Handtasche gehabt hätte (die im Übrigen im Auto lag), wäre ich in diesem Moment versucht gewesen, sie zu ziehen. »Ich schulde dir gar nichts. Du hast mich doch nur mit dem Wagen deines Vaters abgeholt, weil du wusstest dass ich sofort wegfahre, wenn du's mir erzählst.«
»Nein«, sagte Alcide. Wir flüsterten immer noch miteinander. Den Seitenblicken, die wir ernteten, entnahm ich ein gesteigertes Interesse an unserem intensiven Gespräch. »Na ja, vielleicht. Vergiss diese Sache mit dem Gefallen bitte einfach. Tatsache ist, dass mein Vater in Schwierigkeiten steckt, und ich würde alles tun, um ihn da herauszuholen. Und du kannst dabei helfen.«
»Wenn du das nächste Mal meine Hilfe brauchst, bitte mich einfach darum. Und versuch nicht, mich zu erpressen oder mich in etwas hineinzumanövrieren. Ich helfe gern Leuten. Aber ich hasse es, gedrängt oder ausgetrickst zu werden.« Er hatte die Augen niedergeschlagen, also griff ich ihm ans Kinn und zwang ihn, mir in die Augen zu sehen. » Ich hasse es .«
Ich spähte zum Ende der Stufen hinauf, um abzuschätzen, wie viel Aufmerksamkeit unser Streit auf sich gezogen hatte. Der große Mann war wieder herausgekommen. Ohne merkliche Regung sah er zu uns hinunter. Aber ich wusste, dass wir seiner Aufmerksamkeit sicher sein konnten.
Alcide blickte ebenfalls hinauf, mit gerötetem Gesicht. »Wir müssen jetzt reingehen. Kommst du mit?«
»Was bedeutet es, wenn ich mit dir da hineingehe?«
»Es bedeutet, dass du die Kandidatur meines Vaters zum Leitwolf unterstützt.«
»Wozu verpflichtet mich das?«
»Zu nichts.«
»Warum ist es dann so wichtig, dass ich es tue?«
»Auch wenn die Wahl zum Leitwolf Angelegenheit des Rudels ist, beeinflusst es doch vielleicht manche, die wissen, was du im Hexenkrieg für das Rudel getan hast.«
Hexenkampf wäre präziser gewesen, denn obwohl es natürlich »wir gegen die« hieß, war die Gesamtzahl der Teilnehmer doch eher klein gewesen - ungefähr vierzig oder fünfzig. Aber
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