Vampire küssen besser
stand. Den steckte ich ein. Darüber hinaus fand ich eine Kreditkarte, einen Führerschein, ausgestellt in New York, und eine Rabattkarte für einen Supermarkt. Das war alles. Keine Familienfotos, keine Versicherungskarte, nichts.
Ich richtete mich auf, ergriff den Koffer und kippte seinen Inhalt auf die Matratze. Nichts außer Kleidung. Ich wandte mich zu der Kommode um. Sie war leer. Jede Schublade zog ich heraus, um nachzuschauen, ob Bockerie ebenso wie meine Mutter Papiere, die er verbergen wollte, an der Unterseite befestigt hatte. Und siehe da, unter einer der Schubladen klebte ein großer brauner Umschlag.
Ich löste ihn ab, öffnete ihn und zog mehrere Seiten hervor. Beim Überfliegen stellte ich fest, dass es sich um Unterlagen der Revolutionary United Front oder RUF handelte, Belege über die Diamanten, die in den Gruben Sierra Leones beschlagnahmt worden waren. Wenn es eine Hölle auf Erden gibt, dann sind es die afrikanischen Diamantengruben. Blutdiamanten nennt man die Steine, die dort ausgegraben werden, nicht etwa weil sie rot wären, sondern wegen der Schinderei, mit der man sie ans Tageslicht befördert. Nicht selten wird sie mit dem Leben bezahlt, insbesondere dem der Kinder, die als Zwangsarbeiter eingesetzt werden. Mit den Diamanten, die vorrangig über Dubai in die Welt verschickt oder geschmuggelt werden, lässt sich so gut wie alles kaufen. Oftmals sind es geheime Geschäfte, die unter anonymen Geschäftspartnern abgeschlossen werden und dennoch Gültigkeit besitzen. Diamanten sind die Währung, mit der Terroristen handeln, so dass bisweilen die kostbarsten Steine den Tod anderer Menschen finanzieren. Doch wenn ich in die Jahrhunderte zurückblicke, war das wohl seit jeher der Fall.
Ich sah mir die Seiten genauer an und wurde ganz aufgeregt. Das, was ich gefunden hatte, waren geheime Listen über Diamantenverkäufe im Wert von etlichen Millionen Dollar, einschließlich der Namen der Käufer und der Daten der jeweiligen Transaktion. Bei den meisten Käufern handelte es sich um Araber. Ich erkannte die Namen einiger Mitglieder der al Qaida. J würde einen Luftsprung machen, wenn ich ihm die Listen überreichte. Ich wünschte, er besäße die Macht, diese unheilvollen Kette menschlichen Elends zu unterbrechen, die Kinderarbeit, die Diamantenerträge, die Geldströme, die zurück zu den Terroristen flossen … Ich würde meinen Beitrag leisten, indem ich zusah, dass die Kunstobjekte vernichtet wurden, selbst wenn der Preis dafür hoch gewesen war. Im Stillen gelobte ich Bennys Geist, alles daranzusetzen, um auch den geplanten Bombenangriff auf New York zu verhindern.
Ich setzte meine Suche fort, entdeckte im Wasserkasten hinter dem Klo einen Plastikbeutel mit Goldmünzen und ließ ihn dort zurück. In dem Wandschränkchen befanden sich Schmerztabletten, Pillen zur Muskelentspannung und Prozac. Anscheinend hatte General Moskito es mit dem Rücken gehabt und unter Depressionen gelitten. Wer hätte das gedacht? Andererseits hatte die ganze Menschheit Probleme, selbst Ungeheuer wie Sam Bockerie. Menschlicher wurde er dadurch nicht. Auch Hitler hatte Hunde gemocht. Jeder trifft seine Wahl und entscheidet, ob er gut oder böse ist, ob er andere quält oder nicht. Sam Bockerie hatte sich für die Grausamkeit entschieden. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ihn viele beweinen würden.
Nachdem meine Suche beendet war, setzte ich mich in meiner grünen Samt-Toga auf den Boden, um zu meditieren, bis Mar-Mar erschien. Den toten Bockerie und das schäbige Loft blendete ich aus. Stattdessen versenkte ich mich in meinen Körper und versuchte, leer und leicht zu werden.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, ehe ich draußen Gepolter hörte und mich aus meinem Zazen-Zustand löste. Ich glaubte, Mar-Mars Stimme zu vernehmen. Gleich darauf wurde an die Tür gehämmert. Ich öffnete sie eine Handbreit und erblickte Mar-Mar, die in einer Hand eine Papiertüte hielt und über dem anderen Arm die Kleidungsstücke trug, die ich unten zurückgelassen hatte. Hinter ihr standen sechs angejahrte Hippies, Punkrocker und Gothics – allesamt männlich –, die aussahen, als seien sie den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts entsprungen. Für einen Moment fragte ich mich, ob Mar-Mar die Leute auf der Fahrt durch das East Village wahllos aufgelesen hatte, doch dann fiel mir ein, dass es wahrscheinlich die Mitglieder ihrer Rettet-die-Bäume-Gruppe waren.
»Ma!«, zischelte ich durch die Tür. »Hier drinnen
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