Vampire küssen besser
liegt eine Leiche!«
»Hast du denn jemanden umgebracht, Schätzchen?«, fragte Mar-Mar teilnahmsvoll.
»Nein, ich glaube, er hatte einen Herzinfarkt.«
»Dann ist es ja gut.« Sie wandte sich um. »Gebt acht, wo ihr hintretet. Da drin liegt eine Leiche.«
»Cool«, kam es im Chor zurück.
»Mach die Tür auf, Liebes«, sagte Mar-Mar so sanft, als wäre ich fünf Jahre alt. »Du kannst uns doch nicht auf dem Flur stehenlassen.«
Ich zog die Tür auf. »Kommt rein«, sagte ich zu Mar-Mars Truppe. »Fasst aber nichts an. Ich muss noch ein paar Worte mit eurer Chefin wechseln.«
»Kleine Närrin«, sagte meine Mutter. »Ich bin keine Chefin. In unserer Gruppe gibt es keine Hierarchie.«
»Ich muss trotzdem mit dir reden. Allein«, flüsterte ich.
Mar-Mar und ihre Mannen betraten das Loft und schauten in die Runde. »Megageile Bude«, sagte ein grauhaariger Kiffertyp mit Pferdeschwanz. »Industrie-Look. Steh ich drauf.«
»Glauben Sie nur nicht, ich würde in dem Loch wohnen«, erklärte ich, funkelte ihn an und stutzte. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Wahrscheinlich hatte ich ihn schon mal auf einer von Mar-Mars Partys getroffen. Ich zog meine Mutter zur Seite.
»Alles kann ich dir jetzt nicht erklären«, begann ich. »Aber der Typ, der da liegt, hatte sich magische Kultobjekte verschafft. Masken und Statuen. Sie sind dahinten in den Kisten und müssen rasch vergraben oder verbrannt werden. Du darfst sie nicht behalten, auch nicht für längere Zeit in ihrer Nähe bleiben. Wirf sie nicht irgendwo auf die Müllhalde. Sie dürfen nie mehr einem Menschen in die Hände gelangen.«
Mar-Mar verzog keine Miene. »Gut«, sagte sie. »Ich denke mir etwas aus. Zaubermittel verbrennt man am besten. Dumm, dass man hier eine Genehmigung braucht, um irgendwo ein Feuer zu machen.« Sie runzelte die Stirn. »Ah, da fällt mir etwas ein. Ich kenne einen Leichenbestatter, der Zugang zu einem Krematorium hat. Die Jungs werden die Kisten runter in den Lieferwagen schaffen. Sollen wir auch die Leiche entsorgen?«
»Nein, ich rufe morgen den Rettungsdienst an. Der Mann ist ja einen natürlichen Tod gestorben. Mir haben nur die Kunstobjekte Sorgen gemacht.« Ich reichte Mar-Mar den braunen Briefumschlag mit den Listen und die Tasche mit den Diamanten. »Bitte, heb das für mich auf. Die Sachen sind wichtig.«
Mar-Mar steckte den Umschlag in ihren Rucksack und reichte mir die Papiertüte. »Hier sind die Kleidungsstücke von zu Hause. Aber die brauchst du ja doch nicht.«
Ich schaute in die Tüte und wühlte in den Sachen, die meine Mutter zusammengesucht hatte: einen königsblauen Fleece-Pullover von L. L. Bean, einen rot-schwarz karierten Wollrock, eine schwarze Bauernbluse aus Samt und ein Paar alter Schneestiefel – Dinge, die ich vor Jahrzehnten mal bei ihr gelassen hatte. Ich hoffte, die würde ich in meinem ganzen Leben nicht mehr brauchen, und dankte dem Himmel, dass meine Kleidung unten nicht gestohlen worden war. »Danke«, sagte ich lahm. »Nimm sie wieder mit.«
»Wo sind die Kisten?«
Ich deutete nach hinten. »Gib acht, dass du nicht über das Werkzeug fällst.«
Mar-Mar straffte die Schultern und kehrte zu ihren Helfern zurück. Dabei erinnerte sie mich an den alten Film mit Sally Fields, als sie in der Rolle der Norma Rae auf den Tisch in der Fabrikhalle stieg, um eine Rede an die Streikenden zu halten. »Hört mal zu!«, rief Mar-Mar. »Schnappt euch die Kisten dahinten und bringt sie runter in den Lieferwagen. In den Kisten ist übler Zauberkram. Gebt acht, dass sie nicht mit den Räucherstäbchen-Kartons in Berührung kommen. Wir arbeiten mit Sicherheitsstufe Rot. Das heißt, einer bleibt unten und hält Wache. Mit dem Zeug ist nicht zu spaßen. Seht zu, dass alles schnell über die Bühne geht und ihr die Kisten nicht länger als nötig berührt. Um uns zu reinigen, setzen wir für morgen eine Schwitz-Zeremonie an. Wer Bedenken hat, soll sich melden.«
Ein magerer Bursche mit Dracula-Cape und Ringen an Augenbrauen und Unterlippe hob die Hand. »Ich habe Hepatitis C.«
»Okay, Norman. Du stehst Wache und hältst dich von den Kisten fern. Sonst noch jemand?«
Die anderen schüttelten den Kopf. Norman verschwand nach unten, die restlichen fünf folgten Mar-Mar. Im Vorbeigehen sagte der Kiffer-Typ mit dem Pferdeschwanz zu mir: »Super Toga. Bist du eine Jüngerin Isis’?«
»Nein«, entgegnete ich. »Das ist mein Kabbala-Gewand.«
»Cool«, sagte er und winkte mir zu. An seinem Zeigefinger fehlte
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