Vampire küssen besser
zu schnappen, oder ich konnte etwas unternehmen. Was, wusste ich noch nicht. Gunther sprang mir auf die Schulter und quiekte an meinem Ohr. Ich holte die Kristallschale von Waterford hervor und stärkte mich mit einer Portion Blut aus den Reserven, die ich von einer Blutbank bezog. Danach setzte ich mich im Wohnzimmer in meine Meditationsecke.
Ich entsann mich des Rats, den mir einst ein pensionierter Feldwebel gegeben hatte. Wenn man plötzlich mit einer Krise konfrontiert ist und den Drang verspürt, umgehend einzugreifen, sollte man zunächst einmal innehalten. Ich entsann mich des trägen Blicks von Sgt. Harry dePew, der schweren Lider über den dunklen Augen. Er hatte sich zurückgelehnt, seinen Stuhl auf die Hinterbeine gekippt und die aschfarbenen Hände auf dem festen Bauch gefaltet. Er sprach langsam und bedächtig. »Keine Panik! Denk an die
Titanic
«, sagte er. »Wenn der Mensch hört, die Hölle sei los, das Schiff gehe unter oder der Feind habe seine Stellung umzingelt, geht in seinem Herzen der Stepptanz los. Er möchte losrennen, ins Rettungsboot springen oder mit der Knarre nach draußen stürmen. Alles Blödsinn. Stattdessen setzt man sich hin, legt die Füße auf den Tisch und denkt nach. Fünf Minuten sind optimal, aber schon nach
einer
Minute wird man mit klarerem Kopf entscheiden und einen katastrophalen Fehler vermeiden.« Diesen Rat hatte ich nie vergessen und mich so oft wie möglich daran gehalten.
Da mir keine unmittelbare Krise bevorstand, gönnte ich mir die empfohlenen fünf Minuten. Und danach noch eine Viertelstunde. Ich nahm die Lotusstellung ein. Gunther hockte sich neben mich und machte sich daran, sich mit seinen rosa Pfötchen das Gesicht zu putzen. Ich schloss Zeigefinger und Daumen zur klassischen Mudra, öffnete meinen Geist, befreite ihn von allen Gedanken und ließ mich führen.
Ich akzeptierte die Fehler, die ich gemacht hatte, und konzentrierte mich auf die Erkenntnis, dass vor mir zwei Aufgaben lagen, bei denen ich nicht versagen durfte. Nummer eins: Ich musste die Objekte aus Schneibels Sammlung finden und zerstören, selbst wenn sie sich in Sam Bockeries Händen befanden, einem Mann, der gefährlicher war als Bonaventure. Bonaventure war habgierig und tückisch gewesen, doch Sam Bockerie war zweifellos ein psychopathischer Killer.
Nummer zwei: Ich musste mithelfen, die Terroristen aufzuhalten. Ohne Benny waren nur noch Cormac und ich geblieben – und Cormac O’Reilly wurde niemals allein mit ihnen fertig. Cormac war ein selbstsüchtiger Flattergeist. Vielleicht lagen unter diesen Eigenschaften Mut und Entschlossenheit verborgen, doch darauf konnte ich mich nicht verlassen. Schließlich ging es um das Leben von Millionen. Die Hauptverantwortung lag bei Daphne Urban, Spionin und Vampir. Ich erhob mich, trat an meine Stereoanlage und legte zur Einstimmung die Wilhelm-Tell- Ouvertüre auf. Großartig. Wie ein einsamer Rächer würde ich in den Kampf galoppieren – beziehungsweise fliegen.
Sam Bockerie, auch bekannt als General Moskito, wohnte in Brooklyn, dem Ort, der längst zur Legende geworden ist. Dorthin erstreckt sich von Manhattan aus John A. Roeblings Brooklyn Bridge und am unteren Ende führt die Verrazzano Bridge zurück nach Staten Island. Brooklyn besteht aus Williamsburg, Coney Island, Dyker Heights, Flatbush und Bay Ridge. Noch heute findet man auf der Dreizehnten Avenue alte Frauen, die Jiddisch sprechen und an der Ladentheke Weißfisch und »Lox« verlangen. Brooklyn ist die drittgrößte Stadt Amerikas.
Ich zog eine alte schwarze Jeans an, einen schwarzen Rollkragenpullover und eine schwarze Lederjacke. Dann schlüpfte ich in meine bequemen Nikes, streifte Lederhandschuhe über, setzte eine Mütze mit Ohrenklappen auf und steckte eine Sprühdose mit Tränengas in meine Handtasche. Sollte ich im nächtlichen New York überfallen werden, wollte ich mich mit Hilfe gängiger Waffen wehren, denn falls ich meine Krallen ausfuhr und jemandem die Augen auskratzte, würde das mit Sicherheit Aufmerksamkeit erregen.
Anschließend verließ ich das Haus und ging zur U-Bahn. Von dort aus fuhr ich Richtung Wall Street, stieg um und nahm die nächste Bahn nach Brooklyn, die ich an der Kreuzung Fünfundvierzigste Straße und Vierte Avenue verließ. Einen einsameren Ort als die New Yorker U-Bahn bei Nacht kann man sich kaum denken. Meine Schritte hallten an den weißgekachelten Wänden wider. Ich versuchte, den Uringestank zu verdrängen, und spähte in dem
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