Vampire sind die beste Medizin: Argeneau Vampir 9
großen Mengen konsumiert worden waren.
Ja, von ihnen beiden. Sie hatte gegessen, er auch. Sie konnte ihn nicht lesen. Und er?
Marguerite wusste nicht, ob er sie lesen konnte oder nicht, doch sie konnte sich genau daran erinnern, dass Jean Claude nicht angefangen hatte zu essen, als sie beide sich begegnet waren. Er hatte keine der Begleiterscheinungen erkennen lassen, die eigentlich dazugehörten, wenn man seinem wahren Lebensgefährten begegnete. Natürlich war ihr das damals nicht bekannt gewesen. Da war sie noch eine Sterbliche, ein Dienstmädchen in einer großen Burg gewesen und hatte nichts gewusst von Unsterblichen, von Wesen, die sich von Blut ernährten, die stärker und schneller waren und die viel, viel länger lebten als alle Menschen um sie herum.
Mit Schrecken dachte sie daran zurück, wie naiv sie damals gewesen war. Sie zog ihr schwarzes Satinnachthemd an und ließ sich auf der Sitzbank am Fenster nieder, um in die Nacht hinauszuschauen. Als sie damals Jean Claude begegnet war, da hatte sie über das Leben eigentlich kaum etwas gewusst. Sie war gerade erst fünfzehn gewesen, und ein einfaches Lächeln eines gut aussehenden Kriegers hatte genügt, um sie dahinschmelzen zu lassen. Sie hatte gedacht, dass ihre Begeisterung für ihn Liebe sei, und genauso hatte sie sein Verlangen nach ihr für Liebe gehalten. Erst viel später hatte sie herausgefunden, dass sie seiner verstorbenen Lebensgefährtin zum Verwechseln ähnlich gesehen hatte und dass er sie deswegen umworben und gewandelt hatte. Doch da war es längst zu spät gewesen, um noch irgendetwas zu ändern.
Aber in den siebenhundert Jahren ihrer schrecklichen Ehe hatte sie Jean Claude nie essen sehen. Ganz im Gegensatz zu Julius.
Fast fürchtete sie sich davor, darüber nachzudenken, was das wohl zu bedeuten hatte. Vielleicht hatte Julius das Essen einfach nie aufgegeben. Es gab einige Unsterbliche, die so vorgingen, weil sie ihre Muskelmasse beibehalten wollten. Ihr eigener Sohn Lucern hatte aus ebendiesem Grund weiterhin gegessen, auch wenn es ihm nur wenig Spaß bereitet hatte. Das änderte sich erst, als er seiner Lebensgefährtin Kate begegnet war.
Vielleicht war es bei Julius ganz genauso. Doch allen Befürchtungen zum Trotz hoffte Marguerite tief in ihrem Innern, dass dies nicht zutraf. Zu groß war der Wunsch zu wissen, was ihre Kinder erlebt hatten, zu erfahren, was es bedeutete, einen wahren Lebensgefährten zu haben. Die Vorstellung, jemanden an seiner Seite zu haben, den man lieben und mit dem man gemeinsam die Last eines so langen, von Leid erfüllten Lebens teilen konnte, erfüllte sie mit schmerzvoller Sehnsucht. Nach all dem Elend, das sie durch Jean Claude erfahren hatte, musste sie doch auch das Recht auf ein wenig Glück haben, oder etwa nicht?
Aber sosehr Marguerite sich auch nach diesem Glück sehnte, hatte sie dennoch Bedenken, sich auf eine neue Beziehung einzulassen, die möglicherweise so endete wie die mit Jean Claude. Man hätte meinen sollen, dass so etwas überhaupt kein Thema sein konnte; dass kein Unsterblicher sich freiwillig an jemanden binden würde, der nicht sein Lebensgefährte war. Und dennoch kam es vor. Sie war nicht die einzige naive Sterbliche, die in eine solche lebenslange Falle gelockt worden war von einem Unsterblichen, der sie anschließend nach Gutdünken kontrollierte und ihr jeden eigenen Willen nahm. Sie hatte auch davon gehört, dass so etwas sogar unter Unsterblichen vorkam, die es eigentlich besser hätten wissen müssen, die aber genug von einem Leben in Einsamkeit hatten. Solche Verbindungen zwischen Unsterblichen, die keine Lebensgefährten waren, hielten allerdings meist nur kurze Zeit, weil es höchst selten vorkam, dass der eine den anderen so vollständig kontrollieren konnte, wie Jean Claude es mit ihr gemacht hatte. Marguerite vermutete, dass seine Macht über sie so allumfassend gewesen war, weil er sie auch gewandelt hatte, doch die Wahrheit würde sie wohl niemals erfahren.
Aber sosehr sie sich auch jetzt schon zu Julius Notte hingezogen fühlte, würde sie sich unter keinen Umständen auf eine Beziehung mit ihm einlassen, wenn er nicht ihr wahrer Lebensgefährte war. Selbst eine Beziehung auf Zeit war zu riskant, weil sie früher oder später aus dem Ruder laufen würde, sobald der Stärkere von ihnen der Versuchung nicht widerstehen konnte und den anderen zu kontrollieren versuchte. Was sie wollte, war ein ebenbürtiger, gleichberechtigter und gleich starker Partner, wie ihre
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