VAMPIRE SOULS - Böses Blut: Roman (German Edition)
um. »Bewegt er sich so schnell?«
»Nein, er ist verblasst, erloschen. Er hat massiv an Masse verloren.« Er deutet auf den Himmel über den Bäumen. »Er ist immer noch da. Aber man kann ihn mit bloßem Auge nicht mehr erkennen. Jetzt braucht man ein Teleskop dafür.«
Ich weiß nicht wieso, aber das macht mich traurig. Ich wünschte, ich hätte häufiger zu ihm hinauf in den Himmel geblickt.
Wildes Gelächter und Gejohle ist drinnen zu hören, hinter der Schiebetür im Esszimmer. Ich drehe mich um und sehe Travis und drei unserer Vampir-Moderatoren, Spencer, Monroe und Shane, die auf Jim zeigen und sich kaputtlachen. Jim nimmt einen großen Schluck Whiskey darauf. Zwei von ihnen, Shane und Travis, wippen mit dem Kopf im Takt zu Noahs Reggae-Rhythmen aus dem Radio. Regina ist, wie Noah, im Sender. Sie wird ihn um Mitternacht ablösen.
»Spielen sie immer noch Quarters und schnippen Vierteldollar-Münzen in Gläser?«, frage ich David.
»In einer Abwandlung, ja. Zwei haben je ein Glas und sitzen sich am Tisch gegenüber. Wer den Quarter ins Glas befördert, schiebt es nach rechts weiter. Wenn man sein Glas noch hat, wenn das Glas des Gegners bei einem anlangt, ist man dran und muss trinken.«
»Wenn man dem anheimelnden Bild einen Schlitten und ein paar Sternsinger hinzufügt, ist das der ganz normale Weihnachtskitsch, den man auf Norman-Rockwell-Karten finden kann: Amerika, wie es leibt und lebt.«
»Na, immerhin können wir mit unseren Jungs da in aller Ruhe Weihnachten feiern. An Thanksgiving sah die Sache noch ein bisschen anders aus.«
Mit einiger Mühe reiße ich mich von Gedanken an die T-Fest-Feuerprobe los. Es fällt mir immer noch schwer, Jim zu begegnen, selbst wenn er seit diesem Tag seine Augen, seinen Mund und seine Hände von mir gelassen hat.
»Momentan ist wohl die Lieblingsjahreszeit für Vampire, oder nicht? Kurze Tage, lange Nächte.«
David nickt und reibt sich die Hände, um sie warmzuhalten. »Für Vampire ist der Sommer sozusagen der Winter. Zu dieser Jahreszeit können sie sich mehr ausleben als sonst, freier agieren. Die Sonne stellt alles auf den Kopf.«
Ich greife in meine Manteltasche und zucke ein bisschen zusammen. Mein rechter Arm gewöhnt sich gerade wieder daran, nicht mehr in der Schlinge zu stecken. »Mrs McAllister hat mir das hier gestern Abend zugesteckt, als Shane nicht hingeschaut hat.« Ich halte David ein altes Foto von Shane hin. Es zeigt einen schmalen, dünnen Kerl mit einer ziemlich mitgenommen wirkenden, gebrauchten Gitarre, die ihm über eine Schulter hängt. »Aus dem Sommer ’86. Da war er raus aus der Highschool und noch nicht auf dem College.«
»Wow! Da war ich erst zwölf.«
»Ich war erst drei.« Ich nehme das Foto wieder an mich. »Und weißt du, was diesen Schnappschuss erst wirklich zu etwas Besonderem macht? Der Sonnenglanz in ihren Haaren. Das habe ich noch nie gesehen. Und werde es auch nie sehen.«
David lächelt mich an; es ist ein grimmiges Lächeln. Dann angelt er nach der Brieftasche in seiner Jacke.
Er drückt mir ein abgegriffenes Foto von Elizabeth in die Hand. Die Ecken sind verknickt, ein Stempel auf der Rückseite datiert das Foto auf Juli 1997. Elizabeth steht auf einer gepflasterten Promenade, im Hintergrund ein Schiff. Es könnte der Binnenhafen von Baltimore sein, an dem sie steht, oder der Hafen von Annapolis. Sie ist braun gebrannt und strahlt übers ganze Gesicht; ihr blondes Haar weht im Wind, und die Sonne zaubert Glanz hinein. Sie wirft dem Menschen hinter der Kamera eine Kusshand zu.
David tritt von einem Fuß auf den anderen. »Ihr siebenundzwanzigster Geburtstag.«
Ich starre auf das Foto und muss mich anstrengen, um dort die distanzierte, gefühlskalte Frau zu sehen, als die ich Elizabeth kennengelernt habe. Die Frau, die ich kannte, hat diese mir unbekannte Elizabeth geschluckt.
David nimmt mir das Foto aus der Hand. »Es heißt, zur Wintersonnenwende kehre das Licht in die Welt zurück, um die Dunkelheit, die Finsternis zu vertreiben. Denn ab diesem Tag werden die Tage wieder länger. Man sagt, diese Zeit sei die Zeit der Hoffnung und der Erneuerung.«
Er hält das Foto in die Flamme einer der Kerzen. Die linke Ecke beginnt zu brennen.
»Aber David, was tust du denn da?!«
»Erneuern.« Er hält das brennende Foto hoch. Wir beobachten, wie sich Elizabeths Gesicht schwärzt, sich zusammenzieht und zu Asche wird. Als die Flamme Davids Fingerspitzen erreicht, lässt er das Foto in den Aschenbecher fallen, der
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