VAMPIRE SOULS - Böses Blut: Roman (German Edition)
Dunkelheit retten. Am liebsten würde ich Shanes Rücken jetzt mit Fäusten bearbeiten. Am liebsten würde ich ihn anbrüllen, er solle mich ihn glücklich machen lassen. Denn wenn er mich nur genug lieben würde, könnte er alles für mich sein, was ich nur will.
Aber ich will ihn nicht schlagen. Ich will ihn nicht einmal anfassen. Täte ich es, würde es sich für ihn nach Mitleid anfühlen. Ich sitze einfach da, nackt wie ich bin, und friere, obwohl ich die Decke bis unter die Achselhöhlen hochgezogen habe.
Shanes Stimme klingt sanfter als vorhin. »Ich bin das Monster geworden, das ich nie sein wollte.«
Mir krampft sich das Herz in der Brust zusammen. »Warum sagst du so was?«
»Ich bin nicht gekommen, als mein Vater nach mir gerufen hat. Als er im Sterben lag. Im Sterben!« Das letzte Wort spuckt er förmlich aus.
»Die Liga hat es dir verboten. Wenn du’s versucht hättest, hätten sie dich daran gehindert, zu ihm zu gehen. So einfach ist das.«
»Aber ich habe es nicht einmal versucht!« Er stützt den Kopf in die Hände, fährt sich mit den Fingern durch den wirren Schopf. »Ich darf diesen Fehler nicht auch noch bei Mom und Eileen machen! Ich habe einen Neffen, den ich noch nie gesehen habe, den ich nicht kenne.«
»Und du solltest ihn besser auch nicht kennenlernen, Shane! Das ist viel zu gefährlich. So sieht die Realität nun einmal aus!«
»Realität?« Spöttisch lacht er auf. »Ich weiß doch längst nicht mehr, was das ist. Man verlangt von mir, dass ich so tue, als sei ich ein Mensch, der so tut, als sei er ein Vampir.« Er dreht sich halb von mir weg, spricht zur Wand; sein Gesicht nur eine dunkle Silhouette, die sich vor dem Licht der Straßenlaternen abhebt, das durch das Fenster fällt. »Hast du eine Ahnung, wie beschissen sich das anfühlt, oder ist das etwa genau das, was du für ›normal‹ hältst?«
Bei diesem verbalen Tiefschlag stellen sich mir die Nackenhaare auf. »Was glaubst du denn, wie ich mich fühle, wenn ich so tue, als wäre ich Elizabeth?«
»Ich glaube, du findest das geil. Eine Lüge zu leben ist alles, was du je kennengelernt hast. Für dich ist das sicher ganz normal.« Der vollkommen sachliche Ton, den Shane anschlägt, verursacht mir heftigere Gänsehaut, als jede emotionale Anklage es je hätte tun können. »Wir alle bewegen uns in der Welt, die du für uns erschaffen hast. Wenn ich meinen Job und meine Frau behalten will, bleibt mir nichts anderes übrig, als dieses Zwinker-Zwinker- Ich-bin-ein-Vampir -Spielchen mitzuspielen.« Heftig zerrt es an der Bettdecke, als Shanes Hand sich zur Faust ballt. »Aber ich hasse dieses Spielchen! Ich hasse, was die Leute in mir sehen!«
Mir fällt kein Gegenargument ein, das nicht ganz und gar abgeschmackt klingt, herzlos und oberflächlich. »Wie kann das sein, wo du doch Tausende von Fans hast, die dich verehren?«
»Die kennen mich doch gar nicht. Die reden doch nur Scheiße, wenn sie behaupten, dass sie mich verehren und so.«
Es fühlt sich an, als ob wir uns langsam, sehr langsam einer kaum zu ertragenden Wahrheit nähern. »Was meinst du: Kenne ich dich denn?«
»Ich glaube, du versuchst wenigstens, mich kennenzulernen.« Endlich wendet er mir wieder das Gesicht zu. »Aber du bist noch lange nicht bei der Wahrheit angekommen. Und sei ehrlich: Dort willst du momentan auch gar nicht ankommen. So ist es doch, nicht wahr?«
»Will ich doch«, sage ich leise, aber klinge dabei nicht sonderlich überzeugend.
»Meine Fans sind verliebt in das Bild des lässigen, verschärft coolen Typen, der vielleicht gar kein richtiges Blut trinkt oder, wenn er’s tut, das auf die ganz Ironische macht. Und du willst mich haargenauso sehen. Du willst mich so haben.« Er tippt sich gegen die Brust. »Damit ich diesem Bild entspreche, willst du mich ändern. Du versuchst es zumindest.«
»Was hast du denn gegen Veränderungen? Die sind doch gut, oder nicht? Jedes Mal, wenn du dich veränderst, verhindert das doch, dass du immer weniger wirst und dich schließlich in Nichts auflöst!«
Unsere Blicke treffen sich. »Ich höre lieber auf zu existieren, als jemand zu werden, der ich nicht bin!«
Meine Rippen fühlen sich an wie ein Bleipanzer. Mein Verstand schafft es nicht, die Panik niederzukämpfen, um die richtigen Worte zu finden.
Shane steht auf und geht hinüber zu meinem Schreibtisch, greift sich mein Handy.
»Was machst du da?«
»Ich schalte den Wecker ab, damit du ausschlafen kannst.«
»Aber was ist dann mit dir?
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