Vampire und andere Kleinigkeiten
mehr damit gerechnet hatte, sie wiederzusehen, ließen meine Gefühle mir Freiraum genug, auch über andere Dinge nachzudenken. Ich fragte mich vor allem immer noch eines: Warum war Hadley nicht nach Hause zurückgekommen, um uns zu sehen? Vielleicht hatte sie befürchtet, dass sie, als noch junge Vampirin, zu einer unpassenden Zeit in einen Blutrausch verfallen und dabei jemanden beißen könnte, der das gar nicht wollte.
Vielleicht hatte die Verwandlung ihres eigenen Wesens sie selbst schockiert. Bill hatte mir wieder und wieder erzählt, dass Vampire eben keine Menschen mehr seien und dass in ihnen ganz andere Dinge Gefühle auslösten als in Menschen. Ihre Gelüste und ihr Bedürfnis nach einem Dasein im Verborgenen hatten ältere Vampire unwiderruflich geprägt.
Aber Hadley hatte nie unter diesen Voraussetzungen leben müssen. Sie war nach der Großen Enthüllung, also nachdem die Vampire der Welt von ihrer Existenz berichtet hatten, zur Vampirin gemacht worden.
Die postpubertäre Hadley, die ich nicht so gern mochte, hätte sich niemals mit jemandem wie Waldo sehen lassen. Hadley war in der Highschool beliebt gewesen und auf jeden Fall menschlich genug, um all den Teenagerstereotypen zum Opfer zu fallen, die es so gab. Sie war gemein gewesen zu Mitschülern, die nicht beliebt waren, oder hatte sie einfach ignoriert. Ihr Leben hatte sich um nichts anderes als um Klamotten, Make-up und ihre eigene tolle Person gedreht.
Und sie war Cheerleaderin gewesen, bis sie schließlich auf den Gothic-Schick abgefahren war.
»Sie sagten, Sie beide seien auf dem Friedhof gewesen, um ein Ritual zu vollziehen. Was für ein Ritual denn?«, fragte ich Waldo, nur um etwas Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. »Eine Hexe war Hadley doch sicher nicht auch noch.« Einer Werwolfhexe war ich ja schon begegnet, aber noch nie einer Vampirmagierin.
»Unter den Vampiren von New Orleans gibt es gewisse Traditionen«, sagte Mr. Cataliades umsichtig.
»Und eine dieser Traditionen ist, dass das Blut der Toten die Toten auferstehen lassen kann, zumindest zeitweise. Um Gespräche miteinander zu führen, verstehen Sie.«
Mr. Cataliades war ganz bestimmt niemand, der überflüssige Bemerkungen machte. Über jeden Satz, der aus seinem Mund kam, musste ich nachdenken.
»Hadley wollte also mit einer toten Person sprechen?«, fragte ich, als ich diesen letzten Schock verdaut hatte.
»Ja«, mischte sich Waldo jetzt wieder ein. »Sie wollte mit Marie Laveau sprechen.«
»Mit der Voodookönigin? Warum?« Jeder, der in Louisiana aufgewachsen war, kannte die Legende von Marie Laveau, einer Farbigen, deren magische Kräfte sowohl Schwarze als auch Weiße stark fasziniert hatten, und das zu einer Zeit, als schwarze Frauen gar nichts galten.
»Hadley glaubte, sie wäre mit ihr verwandt.« Waldo schien höhnisch zu grinsen.
Okay, jetzt war mir klar, dass er sich das alles bloß ausdachte. »Was Sie nicht sagen! Marie Laveau war Afroamerikanerin, und meine Familie ist weiß«, betonte ich.
»Von der Seite ihres Vaters her«, fügte Waldo gelassen hinzu.
Tante Lindas Ehemann, Carey Delahoussaye, war französischer Abstammung gewesen. Seine Familie lebte jedoch seit mehreren Generationen in New Orleans, und damit hatte er stets so sehr geprahlt, dass meiner ganzen Familie schon regelrecht übel geworden war von seinem Stolz. Ob Onkel Carey wohl gewusst hatte, fragte ich mich, dass sein kreolischer Stammbaum irgendwann mal einen süßen kleinen afroamerikanischen Trieb gehabt hatte? Ich besaß an Onkel Carey nur die Erinnerungen aus meiner Kindheit, aber ich vermute, dieses Wissen wäre sein bestgehütetes Geheimnis gewesen.
Hadley dagegen hätte es richtig cool gefunden, von der berühmt-berüchtigten Marie Laveau abzustammen. Nun schenkte ich Waldo doch etwas mehr Glauben. Wo Hadley solch eine Information allerdings hergehabt haben sollte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Okay, ich konnte sie mir auch nicht als die Geliebte einer Frau vorstellen, und offenbar war sie genau das gewesen. Aus meiner Cousine Hadley, der Ex-Cheerleaderin, war also eine lesbische Voodoo-Vampirin geworden. Wer hätte das gedacht?
Ich fühlte mich bombardiert mit Informationen, die zu verarbeiten ich gar nicht die Zeit hatte. Aber ich wollte unbedingt die ganze Geschichte erfahren und gab dem dünnen Vampir mit einer Geste zu verstehen, dass er weiterreden solle.
»Wir malten die drei X auf das Grabgewölbe«, sagte Waldo. »So wie man es eben macht.
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