Vampire und andere Kleinigkeiten
Cataliades tat einen Augenblick lang sehr überzeugend so, als wäre er schockiert. »Oh, nein!«, rief er dann. »Ihre Königliche Hoheit würde nie den Tod einer Person befehlen, die ihr derart lieb war.«
Okay, das war jetzt wirklich ein Schock. »Äh, auf welche Art lieb ... ? Wie lieb war meine Cousine der Königin?«, fragte ich. Ich wollte sichergehen, dass ich die Anspielung richtig verstanden hatte.
Mr. Cataliades sah mich mit einem altväterlichen Gesichtsausdruck an. »Hadley war ihr das Liebste«, sagte er.
Okay, jetzt hatte ich es begriffen.
Jedes Vampirterritorium hatte einen König oder eine Königin, und mit diesem Titel verband sich einige Macht. Aber die Königin von Louisiana hatte einen Sonderstatus, da sie in New Orleans residierte, das die beliebteste Stadt in den ganzen Vereinigten Staaten war, wenn man zu den Untoten gehörte. Und seit der Vampirtourismus so viel Geld in die Stadt spülte, begannen sogar die Menschen in New Orleans, auf die Bedürfnisse und Wünsche der Königin einzugehen, wenn auch nur inoffiziell. »Wenn Hadley eine so große Favoritin der Königin war, wer war dann dumm genug, sie zu pfählen?«, fragte ich.
»Die Bruderschaft der Sonne«, sagte Waldo, und ich machte einen Satz. Der Vampir hatte so lange geschwiegen, dass ich davon ausgegangen war, er würde nie das Wort ergreifen. Und seine Stimme war genauso knarzend uralt und absonderlich wie seine ganze Erscheinung. »Kennen Sie die Stadt gut?«
Ich schüttelte den Kopf. In Big Easy war ich nur einmal gewesen, auf einem Schulausflug.
»Aber von den Friedhöfen, die als die Städte der Toten bezeichnet werden, haben Sie vielleicht schon gehört?«
Ich nickte, Bill sagte »Ja« und Bubba murmelte
»Mhm«. Einige der Friedhöfe in New Orleans hatten überirdische Grabgewölbe, weil der Grundwasserspiegel in Südlouisiana zu hoch war, um die Toten wie üblich in der Erde zu begraben. Die Grabgewölbe ähneln kleinen weißen Häusern, von denen manche mit Verzierungen und Schnitzereien versehen sind; daher werden diese uralten Friedhöfe auch als Städte der Toten bezeichnet. Die historischen Friedhöfe sind faszinierend, aber manchmal auch gefährlich. In den Städten der Toten sollen sich lebendige Raubtiere herumtreiben, und Touristen wird geraten, sie nur in großen, geführten Gruppen zu besichtigen und sie bei einbrechender Dunkelheit auf jeden Fall wieder zu verlassen.
»Hadley und ich waren in jener Nacht auf den Friedhof St. Louis No. I gegangen, gleich nachdem wir uns aus unserer Tagesruhestätte erhoben hatten, denn wir wollten ein Ritual vollziehen.« Waldos Gesicht wirkte ziemlich ausdruckslos. Der Gedanke, dass dieser Mann mit meiner Cousine ausgegangen war, und sei es auch nur einen Abend lang, war einfach zu erstaunlich. »Die Fanatiker der Bruderschaft sprangen plötzlich hinter den Grabgewölben hervor und waren überall um uns herum. Und sie hatten Waffen dabei, heilige Gegenstände, Pfähle und Knoblauch - die übliche Ausrüstung eben. Sie waren sogar dumm genug, goldene Kreuze zu tragen.«
Die Anhänger der Bruderschaft der Sonne weigerten sich zu glauben, dass man sich nicht alle Vampire mit heiligen Gegenständen vom Leib halten konnte, trotz gegenteiliger Beweise. Doch heilige Gegenstände wirkten nur bei sehr alten Vampiren, die selbst als tief Gläubige aufgewachsen waren. Jüngere Vampire dagegen reagierten nur dann auf Kreuze, wenn diese aus Silber waren. Silber führte bei Vampiren zu Verbrennungen. Oh, und ein Kreuz aus Holz konnte natürlich auch eine Wirkung auf einen Vampir haben - wenn es ihm mitten durchs Herz getrieben wurde.
»Hadley und ich schlugen uns beide tapfer, aber letztlich waren es zu viele für uns, und sie töteten Hadley. Ich bin mit einigen schweren Messerstichwunden entkommen.« Sein papierweißes Gesicht wirkte eher bedauernd als traurig.
Ich versuchte, nicht an Tante Linda zu denken und daran, was sie dazu gesagt hätte, dass ihre Tochter eine Vampirin geworden war. Noch viel schockierter wäre Tante Linda allerdings über Hadleys Todesumstände gewesen: ermordet, auf einem für seine gruselige Atmosphäre bekannten Friedhof, und das in Begleitung dieser grotesken Gestalt. Aber natürlich hätte keiner dieser exotischen Umstände Tante Linda so niedergeschmettert wie die nackte Tatsache, dass ihre Tochter ermordet worden war.
Ich stand dem Ganzen distanzierter gegenüber, denn ich hatte Hadley schon vor Jahren abgeschrieben. Und weil ich sowieso nicht
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