Vampire's Kiss
nichts.
Ich spähte kurz über meinen angewinkelten Ellenbogen und sah das Markenzeichen meiner Widersacherin – den glatten schwarzen Fransen-Bob, der ihr kantiges Gesicht einrahmte.
Zu behaupten, dass ich erschrocken oder geschockt war, wäre gelogen gewesen. Ich hatte etwas Ähnliches erwartet.
Mashas Rache.
Seit unserem Streit im Speisesaal waren mehrere Tage vergangen, und die ganze Guidon-Clique hatte sich merkwürdig ruhig verhalten. Ich hatte gewusst, dass es nicht dabei bleiben würde.
Hände schoben sich grob unter meine Arme und zerrten mich auf den Boden. Im Wohntrakt herrschte jetzt nie völlige Dunkelheit, und mein Zimmer war in ein gespenstisch farbloses Grau gehüllt. Ich blinzelte mehrmals, um meine Umgebung schärfer wahrzunehmen, und machte eine Gruppe Mädels aus, die alle die dunklen Uniformen der Eingeweihten trugen. Die meisten schwiegen. Nur ihr schweres Atmen durchbrach bedrohlich die Stille meines Zimmers.
Dann eine Stimme, heiser und hart, mit einem unverkennbar russischen Akzent. »Höchste Zeit, den Müll rauszuschaffen.«
Masha. Das hier war ihr Geisteskind, und sie hatte die Führung übernommen.
Sie zerrten mich den Korridor entlang, und ich hatte Mühe, die Füße auf den Boden zu bekommen und mit ihnen Schritt zu halten. Ich war stocksauer und wollte es ihnen so schwer wie möglich machen. Und so beschloss ich, mich schlaff und schwer zu machen, obwohl mir klar war, dass es mir nichts außer Ärger bringen würde.
Ich ließ mich nach vorn in den Rücken einer Angreiferin fallen und hörte einen gezischten Fluch. Mit etwas Glück hatte ich eine Niere getroffen.
Aber sie hielten nicht an, sondern schleiften mich zur Treppe, ohne mich wieder auf die Beine zu stellen.
Fingernägel drückten sich wie Klauen in meine Oberarme, und eines der Mädchen versetzte mir einen Tritt ins Hinterteil. »Vorwärts, du Fettsack!«
»Die wiegt ja Tonnen.«
»Schubst sie einfach runter!« Sie hievten mich hoch und schoben an.
»Dein Vampir kann dir jetzt nicht helfen.« Das war Guidon Trinity.
Ich hatte mich tief in mein Inneres zurückgezogen, aber als ich Trinitys Stimme hörte, durchzuckte es mich wie ein Blitz. Emma. Wo war sie? Hatten sie meine Freundin ebenfalls in ihrer Gewalt? Als ich einen Blick über die Schulter zu werfen versuchte, packte mich eine Hand an den Haaren und riss meinen Kopf brutal nach vorn. Doch ich hatte genug gesehen. Keine Emma. Das hier war eine Sonderbehandlung für mich ganz allein.
»Verbindet ihr die Augen!« Jemand wickelte mir einen Stoffstreifen so fest um den Kopf, dass er schmerzhaft in meine Haut schnitt. Der beängstigende Druck auf meine Lider war schlimmer als jede Demütigung.
Sie erreichten das Ende des Flurs, und ich spürte eine gähnende Leere vor mir. Treppenhaus. Sie hatten vor, mich die Treppe hinunterzustoßen.
Ich zog die Knie an und stemmte die Füße gerade noch rechtzeitig in den Boden, als sie die Stufen hinunterrannten und mich mitzerrten. Unbeholfen stolperte ich hinter ihnen drein.
Ich hatte schon einmal eine nächtliche Schikane miterlebt. Zumindest war jetzt Sommer. Die Temperatur betrug schattige vier Grad, aber es lag kein Schnee. Das war immerhin etwas.
Das Eingangstor schwang auf. Ein Windstoß fegte in die Diele und wirbelte um meine Beine. Mein Nachthemd war aus Flanell, aber das half nicht viel gegen die Kälte. Meine Zähne begannen zu klappern.
»Friert die kleine Acari?«
»Das ist bitter, kleine Acari, denn es wird eine lange Nacht für dich.«
Sie schleppten mich ins Freie, und ich wollte mich wieder schlaff machen und mitziehen lassen, aber den Gedanken verwarf ich schnell, als mir der Kies die bloße Haut aufschürfte.
»Arme Acari! Hast du deine Schuhe vergessen?«
Ein Schubs. Ich stolperte und fing mich gerade noch ab. Ein Schubs von der anderen Seite. Einer von hinten. Ich taumelte wie betrunken umher, konnte mich aber auf den Beinen halten. Es war ein winziger Sieg, doch in diesem Moment bedeutete er viel. Ich biss die Zähne zusammen, hielt den Stößen stand. Diese Acari würde bis zuletzt kämpfen.
Noch ein Schubs, und ich wäre beinahe gestürzt, als sich der Untergrund veränderte. Spitze Steine bohrten sich in meine Sohlen, und ich spürte etwas Kaltes, Nasses zwischen den Zehen. Blind streckte ich die Hände aus. Wir hatten den Weg verlassen – hatten gegen eine Grundregel der Vampire verstoßen.
»Zieht sie aus!« Grobe Hände betatschten mich. Jede wollte diejenige sein, die mir die
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