Vampire's Kiss
Fluchtpläne in die Tat umzusetzen. Und wenn ich ganz ehrlich war, wollte ich auch Alcántara beeindrucken und einen Augenblick des Triumphs genießen, ehe ich in den Sonnenuntergang entschwand.
Ein einzelner Satz hob sich aus dem Stimmengewirr ab, und mein Herz legte einen Gang zu. Hatte ich richtig gehört?
»Von Eyja næturinnar ?«, wiederholte jemand.
Eine heftige Erregung durchzuckte mich. Ich blieb am Tisch stehen, schenkte Wein nach und horchte.
Jakob hatte sich einem jüngeren Vampir zugewandt, der im Scheitelbereich eine Mönchtonsur trug. »Was ist mit unserem Gefangenen?«
»Wir haben ihn mehrfach verhört und halten ihn immer noch fest.«
Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Sprachen sie von Carden McCloud? Sie hatten fast in einem Atemzug einen Gefangenen und die Insel der Nacht erwähnt. Ich trat näher, füllte Gläser, die erst halb leer waren, und strengte mich an, jedes Wort aufzunehmen.
Ein schwarzhaariger Vampir mischte sich ein. »Konntet Ihr etwas in Erfahrung bringen?« Sein Deutsch klang so altertümlich, dass ich ohne die vorherige Frage nichts verstanden hätte.
»Nein. Er ist verstockt und weigert sich zu sprechen.«
Der Vampir, der den Vorsitz über die Runde hatte, legte Messer und Gabel ab. »Dann beseitigen wir ihn.«
»Wann immer Ihr das wünscht, Bruder Jakob.«
»Noch heute Nacht«, erklärte der Anführer. Gleich darauf warf er mir einen wütenden Blick zu.
Ich hatte mich so auf das Gespräch konzentriert, dass ich vergaß, weiter zu bedienen. Hastig trug ich den Weinkrug zu einer Anrichte und stellte ihn ab, während ich fieberhaft nachdachte. Das hier war meine erste – und hoffentlich letzte – Mission. Wenn ich versagte, scheiterten womöglich meine Fluchtpläne. Außerdem wollte ich, konnte ich Master Alcántara nicht im Stich lassen. Und Alcántara legte Wert darauf, den Gefangenen lebend zurückzuholen.
Carden McCloud war hier, und diese Vampire wollten ihn noch in dieser Nacht beseitigen.
Außer ich fand ihn vorher.
»Lasst die junge Magd das hier abräumen«, sagte einer der Vampire in Althochdeutsch und klopfte mit einer Gabel gegen sein Glas. »Mich gelüstet nach Eurem Cognac.«
Jakob gab den Befehl an mich weiter, und ich ging von Platz zu Platz, um die Weingläser einzusammeln und Platz für die Cognac-Schwenker zu schaffen. Während des Abräumens fiel mir plötzlich etwas ins Auge, und ich handelte spontan, ohne zu wissen, ob ich den klügsten oder dümmsten Entschluss meines Lebens gefasst hatte.
Ein einzelnes, schön gearbeitetes Steakmesser war zwischen die Gedecke gerutscht und lag nun unbeachtet zwischen all den Tellern und Bestecken. Aber ich sah es – es war scharf und glänzend, und es rief meinen Namen. Mit seinem schmalen, eleganten Griff und der spitz zulaufenden Klinge schien es die Balance eines guten Wurfmessers zu besitzen.
Ich bedeckte es mit einer fleckigen Leinenserviette. Nachdem ich die Gläser auf mein Tablett gestellt und zur Mitte hin geschoben hatte, nahm ich die Serviette mitsamt dem Messer auf und legte sie daneben.
In meinen Ohren rauschte das Blut. Ich war einer Panik nahe. Wenn mich nun jemand bei meinem Tun beobachtet hatte? Jeden Moment konnten mich Klauen von hinten packen und zerfleischen. Aber das Gespräch nahm ganz normal seinen Gang, ein mildes, vom Wein beschwingtes Geplauder.
Ich hastete in Richtung Küchengewölbe und hielt erst auf der Wendeltreppe an. Das Herz schlug mir bis zum Hals, und Schweiß lief mir in dünnen Rinnsalen den Rücken entlang. Die Stiege war halsbrecherisch schmal, mit winzigen Holzdreiecken als Stufen, und ich lehnte mich an die Wand, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Die Steine kühlten meinen feuchten Rücken, und die Gläser klirrten auf dem schwankenden Tablett.
Mit einer Hand schürzte ich die Röcke und ließ das Messer entlang der Hüfte in die Unterhose gleiten. Ich verdrillte es ein paarmal mit dem Wollstoff, bis es nicht mehr verrutschen konnte.
Dann strich ich mein Kleid glatt, überwand im Laufschritt den Rest der Treppe und tastete mich durch die dunklen Gänge des Küchentrakts. Adrenalin pulsierte in meinen Adern und schärfte meine Sinne. Mir entging kein Geräusch und keine Bewegung.
Und so spürte ich auch die schwache Veränderung in meiner Nähe. Ich beschloss, sie nicht weiter zu beachten. Bis mir der Gestank in die Nase stieg.
Der unerwartete Gestank von Schwefel.
Ich drehte mich um. Sie war es. Ohne jeden Zweifel. Ihr Haar verriet sie.
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