Vampire's Kiss
Ein wenig genoss ich das Theater, das ich ihr vorspielte.
Meine Gedanken überschlugen sich, als ich weiterstürmte. Wie sollte ich die Verliese finden?
Ich kam an einer anderen Frau in einer schwarzen Schürze vorbei. Sie wirkte gesetzt wie die meisten Bediensteten in verantwortungsvoller Stellung, und ich befürchtete, dass ich zu jung für meine Rolle aussah. Und tatsächlich verlangsamte sie ihre Schritte.
Ehe sie etwas sagen konnte, stieß ich hervor: »Nicht jetzt. Es gibt Probleme mit dem Gefangenen.« Wieder benutzte ich Althochdeutsch.
Die Strenge wich aus ihren Zügen. Offensichtlich akzeptierte sie mich als ebenbürtig. Und sie spürte meine Eile, denn sie wies mit dem Kinn den Korridor entlang, zu einer dunklen Lücke im Mauerwerk. Vermutlich wieder ein Treppenschacht – und diesmal führte er wohl in die Tiefe.
»Karl hat die Schlüssel«, sagte sie, ebenfalls in Deutsch.
Ich nickte ihr diensteifrig zu. Karl würde mein Steakmesser zu spüren bekommen.
Diese Wendeltreppe war dunkler. Feuchter Moder und faulige Dämpfe stiegen mir entgegen. Ich blieb kurz stehen, schürzte zum zweiten Mal an diesem Tag mein Kleid und holte das Messer hervor. Mit gerafften Röcken tastete ich mich von Stufe zu Stufe.
Karl war vermutlich der Wachtposten, und ich betete, dass mich ein Vampir-Anwärter oder, noch besser, ein ganz normaler Diener erwartete. Der Gedanke, es mit einem ausgewachsenen Vampir aufnehmen zu müssen, erfüllte mich mit Sorge.
Zellen säumten den Kellergang, die meisten leer, einige jedoch nicht. Ihre Insassen wirkten reglos, dem Tod nahe. Ich bewegte mich so leicht und leise wie möglich an den Gittern vorbei und wiederholte dazu mein Mantra: Ich bin Wasser, das fließt. Ich bin Wächterin. Ich hielt auf das Gemurmel am Ende des Korridors zu. Eine einsame Fackel knisterte in ihrer Wandhalterung.
Die Ratten hörten mich lange vor dem Wachtposten und kündigten meine Ankunft mit einem aufgeregten Fiepen und Trippeln an.
»Wasss issst –?«, zischte eine Stimme in hartem Deutsch durch das Dunkel.
Ich ging schneller. Am Ende des Korridors tauchte ein verschwommenes Gesicht hinter Gitterstäben auf, aber mir blieb keine Zeit zum Nachdenken. Der Wachtposten hatte sich umgedreht und mich entdeckt. Er kam auf mich zu.
Scheiße. Natürlich war es ein erwachsener Vampir.
Keine Zeit zum Nachdenken. Ich bohrte die Zehen in den Sandboden und blieb unvermittelt stehen. Dann balancierte ich das Messer in meiner Rechten, bis ich seinen Schwerpunkt knapp unterhalb der Mitte gefunden hatte. Ich stellte mir das pochende Herz des Vampirs vor – wenn das Herz eines Vampirs überhaupt pochte – und schleuderte die Klinge locker aus dem Handgelenk.
Das Adrenalin, das gespenstische Gesicht am Ende des Korridors, der Vampir, der auf mich losgestürmt kam – das alles bündelte meine Energie. Es gab nur noch mich und das Ziel, einen hellen, scharf umrissenen Fleck, der das Herz des Vampirs darstellte. Wie Eisen, das von einem Magneten angezogen wurde, überbrückte das Messer den Abstand, schlug in seine linke Brustseite und blieb stecken.
Er wankte und brach zusammen. Meine Konzentration erlosch, und einen Moment lang stand ich verwirrt da, brutal zurück in die Wirklichkeit gestoßen. Meine rechte Seite schmerzte wie verrückt … Ich konnte nicht durchatmen … Vielleicht gab es noch mehr Wachtposten … Das Messer war meine einzige Waffe.
Und … der Gefangene am Ende des Korridors starrte mich unverwandt an.
Ein schwaches Händeklatschen zerriss die Stille. Das Geräusch wiederholte sich, bis ich begriff, dass mir der eingesperrte Vampir eine Runde Beifall spendete. Begleitet wurde der Applaus von einem gruseligen Rasseln. Ich konnte in den Schatten des Verlieses wenig erkennen, aber allem Anschein nach war er an Ketten gefesselt.
Nervös spähte ich in alle Winkel. »Keine Angst«, sagte der Gefangene. »Er war der Einzige.« Seine Stimme klang kratzig und eingerostet, als habe er sie lange nicht mehr benutzt.
Ich starrte mit zusammengekniffenen Augen in seine Richtung, doch sein Gesicht blieb ein bleicher, verschwommener Fleck im Halbdunkel. Es gab hier unten nur eine Fackel, und obwohl das Vampirblut meine Sehkraft stark verbessert hatte, reichte sie nicht aus, um die Finsternis zu durchdringen.
»Komm ins Licht«, sagte er.
Ich legte den Kopf schräg und spähte angestrengt in die Schatten, ehe ich mich zögernd seinem Kerker näherte.
»So ist es gut … Noch näher. Ich beiße
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