Vampirgeflüster
mein schöner Schutzengel aussah, als hätte irgendwer sie durch einen Holzschredder gejagt. Ihre nackten Arme waren mit Kratzern, Rissen und Schnitten übersät. Und ihr Gesicht sah furchtbar aus. Sie lächelte, doch schmerzverzerrt.
Als sie mich hochhob, konnte ich spüren, welche Mühe es ihr machte. Normalerweise konnte Claudine problemlos ein großes Kalb stemmen, wenn sie wollte.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich kann bestimmt laufen.«
»Denk nicht mal dran«, erwiderte Claudine. »Na, da sind wir doch schon.«
Als unsere Mission beendet war, trug sie mich auch wieder ins Bett zurück.
»Was ist dir passiert?«, fragte ich sie. Dr. Ludwig war ohne ein weiteres Wort gegangen.
»Ich bin in einen Hinterhalt geraten«, erzählte sie in ihrem reizenden Tonfall. »Ein paar blöde Heinzelmännchen und ein Elf namens Lee.«
»Waren es Verbündete von Breandan?«
Claudine nickte und griff wieder nach ihrem Strickzeug. Sie schien gerade an einem winzigen Pullover zu arbeiten, und ich fragte mich, ob der für einen Elf sein sollte. »Das waren sie«, sagte Claudine. »Jetzt sind die Verbündeten nur noch Bündel aus Fleisch und Knochen.« Worüber sie sich sehr zu freuen schien.
Tja, so würde Claudine nie zu einem Engel aufsteigen. Ich hatte keine Ahnung, wie diese Karriere genau verlief. Aber andere in ihre Einzelteile zu zerlegen war vielleicht nicht so ganz der rechte Weg dorthin. »Gut«, sagte ich. Je mehr von Breandans Gefolgsleuten dran glauben mussten, umso besser. »Hast du Bill gesehen?«
»Nein«, sagte Claudine, eindeutig desinteressiert.
»Und wo ist Claude?«, fragte ich. »In Sicherheit?«
»Er ist bei Großvater«, erzählte sie, und zum ersten Mal wirkte sie besorgt. »Sie versuchen, Breandan aufzuspüren. Großvater meint, wenn er die Wurzel allen Übels ausreißt, bleibt den Gefolgsleuten des Feindes nichts anderes übrig, als den Krieg zu beenden und ihm Treue zu schwören.«
»Oh. Und du hast sie nicht begleitet, weil...?«
»Weil ich dich bewache«, sagte sie nur. »Und damit du nicht glaubst, ich ginge den Weg der geringsten Gefahr: Ich bin sicher, dass Breandan dieses Haus hier sucht. Er muss äußerst aufgebracht sein. Jetzt, da seine Lieblingsmörder tot sind, muss er selbst diese Welt betreten, die er so sehr verabscheut. Er hat Neave und Lochlan geliebt, sie waren schon seit Jahrhunderten bei ihm und beide seine Geliebten.«
»Bäh«, machte ich aus tiefstem Herzen, oder vielleicht auch aus der Magengrube heraus. »Oh, bäh .« Ich wollte mir nicht mal vorstellen, auf welche Weise sie sich »geliebt« hatten. Was ich zu sehen bekommen hatte, hatte mit Liebe nicht viel zu tun gehabt. »Ich würde dir übrigens nie vorwerfen, den Weg der geringsten Gefahr zu gehen«, sagte ich, als meine Übelkeit wieder abgeklungen war. »Die ganze Welt ist gefährlich.« Claudine warf mir einen traurigen Blick zu.
Eine Zeit lang sah ich nur zu, wie rasend schnell und schwungvoll sie die Stricknadeln bewegte. Ich war nicht sicher, wie der flauschige grüne Pullover mal aussehen würde, doch ihre Strickerei war beeindruckend.
Dann fragte ich: »Was ist das eigentlich für ein Name, Breandan?«
»Ein irischer«, erklärte sie. »Die ältesten Elfen in diesem Teil der Welt sind alle Iren. Claude und ich hatten auch mal irische Namen. Aber das war mir einfach zu dumm. Warum sollten wir uns nicht selbst einen Gefallen tun? Die irischen Namen kann doch keiner richtig aussprechen. Mein früherer Name klang wie das Keuchen einer Katze, die einen Haarball hervorwürgt.«
Dann herrschte wieder eine Zeit lang Schweigen.
»Für wen ist denn dieser winzige Pullover? Erwartest du etwa was Kleines?«, fragte ich schließlich mit meiner neuen krächzend heiseren Stimme. Es sollte eigentlich witzig klingen, doch es klang leider nur gruselig.
»Ja.« Claudine hob den Kopf und sah mich mit einem Strahlen in den Augen an. »Ich bekomme ein Kind. Ein vollblütiges Elfenkind.«
Ich erschrak, versuchte das aber mit dem breitesten Lächeln, das ich auf mein Gesicht zaubern konnte, zu verbergen. »Oh. Großartig!« Ob es wohl zu weit ginge, wenn ich auch gleich noch nach dem Vater fragte? Vermutlich.
»Ja«, sagte sie ernst. »Es ist wundervoll. Wir sind kein besonders fruchtbares Volk, und die enormen Mengen Eisen auf der Welt haben unsere Geburtenrate stark gesenkt. Unsere Anzahl schrumpft jedes Jahrhundert. Ich habe sehr großes Glück. Das ist einer der Gründe, warum ich nie mit Menschen ins Bett gehe,
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