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Vampirgeflüster

Vampirgeflüster

Titel: Vampirgeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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zittrigen Händen aufgetragen worden. Und ihr Lippenstift war in die feinen Fältchen um den Mund verschmiert. Die meisten Alkoholiker aus der Gegend kamen nur hin und wieder ins Merlotte's, sie saßen regelmäßig im Bayou. Jane war unser einziger ansässiger Alkie, seit der alte Willie Chenier gestorben war. Wenn Jane an die Bar kam, setzte sie sich immer auf denselben Hocker. Hoyt hatte mal ein Schild dran gemacht, als er eines Abends zu viel getrunken hatte. Doch Sam hatte ihn aufgefordert, es wieder zu entfernen.
    Ein oder zwei furchtbare Minuten lang warf ich einen Blick in Janes Kopf, beobachtete die träge hinter ihren Augen entlangziehenden Gedanken und sah all die geplatzten Adern in ihren Wangen. Die Vorstellung, so wie Jane zu enden, reichte aus, um fast jeden zu ernüchtern.
    Ich wandte mich ab und sah, dass Mel neben mir stand. Er war auf dem Weg zur Herrentoilette, denn das entnahm ich seinen Gedanken.
    »Weißt du, was sie in Hotshot mit solchen Leuten machen?«, fragte er leise und deutete mit einem Kopfnicken auf Jane, als könnte sie weder sehen noch hören. (Womit er, heute zumindest, sogar recht hatte. Jane hatte sich so sehr in sich selbst zurückgezogen, dass sie die Welt um sich herum kaum registrierte.)
    »Nein«, erwiderte ich erschrocken.
    »Sie lassen sie sterben«, erzählte er. »Sie geben der Person kein Essen, kein Wasser und kein Dach über dem Kopf, wenn sie nicht mehr für sich selbst sorgen kann.«
    Ich bin sicher, dass mir das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand.
    »Das ist letztlich das Beste«, sagte er und atmete hörbar ein. »In Hotshot weiß man, wie man die Schwachen loswird.«
    Dann setzte er seinen Weg fort, und sogar seine Haltung strahlte Überheblichkeit aus.
    Ich klopfte Jane auf die Schulter, auch wenn ich, ehrlich gesagt, nicht an sie dachte. Ich fragte mich, was Mel getan haben mochte, dass er von Hotshot nach Bon Temps ins Exil verbannt war. Ich an seiner Stelle wäre froh gewesen, die vielen verwandtschaftlichen Bindungen und die Hierarchie der mikroskopisch kleinen Welt der Häuser rund um die alte Wegkreuzung hinter mir zu lassen. Doch ich wusste, dass Mel es nicht so sah.
    Mels Exfrau trank hin und wieder eine Margarita im Merlotte's. Das nächste Mal, wenn Ginjer hereinschaute, würde ich wohl einige Nachforschungen über den neuen Kumpel meines Bruders anstellen müssen.
    Sam fragte mich ein paar Mal, ob alles okay sei, und es überraschte mich selbst, wie stark mein Verlangen war, ihm von allen Ereignissen der letzten Zeit zu erzählen. Ich staunte, wie oft ich mich Sam anvertraute und wie gut er mein verborgenes Leben kannte. Aber ich wusste, dass er im Moment genug eigene Sorgen hatte. Allein an diesem Abend telefonierte Sam mehrmals mit seiner Schwester und seinem Bruder, was wirklich ungewöhnlich war für ihn. Er wirkte mitgenommen und beunruhigt, und es wäre egoistisch von mir, ihm auch noch meine Probleme aufzuladen.
    Das Handy in meiner Schürzentasche vibrierte einige Male, und als ich einen Augenblick Zeit hatte, verschwand ich auf die Damentoilette und las meine SMS. Eine war von Eric. »Schutz genehmigt«, lautete sie. Das war gut. Und es war noch eine weitere gekommen, von Alcide Herveaux, dem Leitwolf des Werwolfrudels von Shreveport. »Tray sagt, du hast Probleme?«, schrieb er. »Wir schulden dir was.«
    Meine Überlebenschancen waren beträchtlich gestiegen, und so war ich sehr viel besserer Laune, als ich an diesem Abend meine Schicht beendete.
    Es tat gut, dass sowohl die Vampire als auch die Werwölfe sich mir verpflichtet fühlten. Wer weiß, vielleicht war all der Mist, den ich vergangenen Herbst durchgemacht hatte, es letzten Endes doch wert gewesen.
    Aber alles in allem muss ich sagen, war mein Vorhaben dieses Abends ein Reinfall. Okay, ich hatte - mit Sams Erlaubnis - meine beiden Wasserpistolen mit dem Saft der Zitronen aus dem Kühlschrank (die für Eistee gedacht waren) gefüllt. Echter Zitronensaft, dachte ich, war bestimmt wirksamer als die Limonade aus der Flasche zu Hause. Daher fühlte ich mich etwas sicherer, aber meine Kenntnisse über den Mord an Crystal waren nicht um eine Tatsache reicher geworden. Entweder waren die Mörder nicht im Merlotte's gewesen; oder sie hatten keine Gewissensbisse wegen ihrer abscheulichen Tat; oder sie hatten in dem Moment, als ich ihre Gedanken las, nicht an den Mord gedacht. Oder , dachte ich, all das zusammen .

       Kapitel 15
    Nach der Arbeit wartete schon eine Art

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