Vampirmelodie
sollte.
Ein Leben als Erics heimliche Geliebte war aber mit Sicherheit nicht der Weg zu diesem Ziel.
Ich stellte mir vor, wie ich in einem kleinen Apartment in Oklahoma saß, ohne Familie oder Freunde, und langeTage und noch längere Nächte damit verbrachte, auf Eric zu warten, der sich ein, zwei Stunden lang zu mir stehlen würde. Und jede Nacht würde ich darauf warten, dass die Königin oder ihre Mörder mich finden und töten würden … oder noch Schlimmeres.
Wenn Eric mich zur Vampirin machte oder Pam dazu brächte, es zu tun, wäre zumindest klar, womit meine Tage ausgefüllt wären: damit, in einem schmalen dunklen Kasten zu liegen. Und in den Nächten würde ich vielleicht mit Pam und Karin herumhängen und darauf warten, auf Abruf zu Erics Verfügung zu stehen – auf ewig. Ich schauderte. Das geistige Bild, wie ich mit Karin und Pam herumhing – wie Draculas Frauen, die in einem Gruselschloss auf einen arglos vorübergehenden Passanten warteten –, war einfach abscheulich. Da würde ich mich glatt selbst pfählen. (Nach ein, zwei Jahren wäre Pam wahrscheinlich nur allzu froh, mir dabei behilflich sein zu dürfen.) Und was, wenn Eric mir befahl, jemanden zu töten, jemanden, der mir etwas bedeutete? Dann würde ich gehorchen müssen.
Und das alles vorausgesetzt, dass ich die Wandlung zur Vampirin überlebte, was beileibe nicht sicher war. Ich las jede Woche von Leichen, die in eilig ausgehobenen Gräbern gefunden worden waren, Leichen, die sich nie als Untote erhoben, sich nie den Weg an die Oberfläche freigeschaufelt hatten. Leute, die geglaubt hatten, dass es cool wäre, ein Untoter zu sein, und einen Vampir überredet oder bezahlt hatten, sie zu wandeln. Aber sie hatten sich nicht erhoben.
Ich schauderte erneut.
Es gab noch mehr zu überdenken und noch mehr von Grund auf zu erneuern, doch plötzlich war ich ganz benommen vor Erschöpfung. Ich hätte nie gedacht, dass ich nach einem Tag wie diesem jemals wieder ins Bett gehenund meine Augen schließen könnte … doch mein Körper dachte da anders, und so überließ ich es ihm.
Vielleicht würde es mir leidtun, was ich in dieser Nacht gesagt hatte, wenn ich am Morgen aufwachte. Vielleicht würde ich mich selbst einen Dummkopf schimpfen und meine Koffer für Oklahoma packen. Doch jetzt, in diesem Moment musste ich all mein Bedauern und meine Mutmaßungen loslassen. Als ich mir im Badezimmer am Waschbecken das Gesicht wusch, fiel mir ein, dass ich ein Versprechen gegeben hatte. Statt Sam anzurufen und Fragen beantworten zu müssen, schrieb ich ihm nur eine SMS. »Bin zu Hause, war schlimm, aber es ist vorbei.«
Ich schlief traumlos und wachte an einem Morgen auf, der erneut verregnet war.
Die Polizei stand vor meiner Tür, und sie verhaftete mich wegen Mordes.
Anderswo
in einem Motel an der Autobahn,
fünfzehn Meilen entfernt von Bon Temps
Der große Mann lag auf dem Rücken auf dem Doppelbett, die großen Hände über dem Bauch gefaltet und im Gesicht einen vollkommen zufriedenen Ausdruck. »Gott sei gepriesen«, sagte er gen Zimmerdecke. »Manchmal werden die Übeltäter genau so bestraft, wie sie es verdienen.«
Sein Zimmergenosse ignorierte ihn. Er telefonierte schon wieder. »Ja«, sagte der Durchschnittsmann, »bestätigt. Sie wurde verhaftet. Sind wir hier jetzt fertig? Wenn wir noch länger bleiben, riskieren wir, bemerkt zu werden,und im Fall meines Begleiters …« Er sah hinüber zu dem anderen Bett. Der große Mann war aus seinem Bett aufgestanden, um ins Badezimmer zu gehen, und er hatte die Tür geschlossen. Der Durchschnittsmann fuhr mit gesenkter Stimme fort. »In seinem Fall, erkannt zu werden. Wir konnten den Wohnwagen nicht benutzen, da die Polizei ihn durchsucht hat, und wir konnten nicht riskieren, Spuren zu hinterlassen, nicht mal, wenn es nur um die Polizei von Bon Temps geht. Wir haben jede Nacht das Motel gewechselt.«
Die volle männliche Stimme sagte: »Ich werde morgen da sein. Dann unterhalten wir uns.«
»Persönlich?« Der Durchschnittsmann klang sachlich, doch da er allein war, ließ er in seinem Gesichtsausdruck seine Anspannung erkennen.
Er hörte den Mann am anderen Ende der Leitung lachen, es klang aber eher wie ein Husten. »Ja, persönlich«, sagte der Mann.
Nachdem er das Gespräch beendet hatte, starrte der Durchschnittsmann einige Minuten lang die Wand an. Diese Wendung der Ereignisse gefiel ihm nicht, und er fragte sich, ob die Sorgen, die er sich machte, so groß waren, dass er auf das restliche
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