Vampirnacht
deiner Nähe herumgetrieben haben? Wir haben das Gefühl, dass uns jemand beobachtet.«
Nerissa starrte mich einen Moment lang an, dann ließ sie den Blick über die Horde schweifen, die sich in der Küche versammelt hatte. Sie schnaubte. »Du meinst noch seltsamer als üblich?«
Ich tippte ihr auf die Nasenspitze. »Ja.«
Nerissa ließ sich auf den Stuhl sinken und legte den Kopf in den Nacken. »Ich war auf einer Tagung mit zweihundert Leuten. Da waren sicher auch ein paar seltsame Gestalten darunter, aber mir ist niemand besonders aufgefallen. Lass mich ein paar Minuten entspannen, dann fällt mir vielleicht noch etwas ein.«
Ich beugte mich vor, küsste sie auf den Mund und liebkoste ihre Wange. »Hast du Hunger?«
»Ja, ich wollte unterwegs nicht anhalten. Von Bellingham hierher ist es ganz schön weit mit leerem Magen.« Sie seufzte tief, richtete sich auf und beäugte den beladenen Tisch. »Kann ich bitte einen Teller haben?«
Hanna reichte ihr einen Suppenteller, und Nerissa tat sich Chili auf, streute Käse darüber und legte sich drei dicke Scheiben Weißbrot auf den Tellerrand. Dann steckte sie die Serviette kurzerhand in den Kragen ihrer Bluse. Nerissa hatte einen kostspieligen Geschmack, und diese Seidenbluse war ein Designerstück – auf keinen Fall würde sie es riskieren, sie mit irgendetwas Fettigem zu bekleckern.
Sie fing an, sich Chili in den Mund zu schaufeln – mein Mädchen hatte einen gesunden Appetit. Ich sah auf die Uhr. »Heute Abend findet ein Treffen der Anonymen Bluttrinker statt. Ich muss da hin. Schatz, ich weiß, dass du müde bist, aber Roman möchte … es wäre ihm lieb, wenn du mitkommen würdest.«
Nerissa riss den Blick lange genug von ihrem Teller los, um mich kurz anzustarren, doch ich hielt den Mund und schüttelte kaum merklich den Kopf. Ich wollte vor den anderen nicht über Romans Wunsch reden, uns beiden beim Liebesspiel zuzuschauen. Aber ehe wir losfuhren, würde ich sie unter vier Augen einweihen.
Ich sah mich am Tisch um. »Delilah, Camille … würdet ihr, Morio und Smoky auch mitkommen? Ich habe Roman heute in der Traumzeit getroffen, und er hat versprochen, sich wegen Andrees umzuhören. Mit etwas Glück hat er nachher schon etwas für uns.«
Nerissa stöhnte. »Ich hatte so gehofft, dass wir einfach zu Hause bleiben können.« Ich verzog entschuldigend das Gesicht, und sie fügte hinzu: »Aber wenn du da hingehen musst, komme ich natürlich mit. Ich will nur schnell duschen und mir etwas Bequemeres anziehen.«
»Zeig nicht zu viel Haut«, murmelte ich.
Sie schnaubte. »Na klar doch, im sexy Party-Outfit zu einem Vampirtreffen gehen? Eher nicht.« Und ehe ich noch etwas sagen konnte, machte sie sich wieder über ihr Chili her.
Nach ein paar Bissen hielt sie inne. »Wisst ihr, auf der Tagung waren wirklich eine Menge Leute, aber jetzt, da ich darüber nachdenke, ist mir tatsächlich jemand aufgefallen. Da war ein Mann, am ersten Tag – jedes Mal, wenn ich mich umgedreht habe, hat er mich angestarrt, aber ich habe mir nichts dabei gedacht. Viele Männer glotzen mich an. Aber er war bei jedem Vortrag und jedem Workshop, den ich am ersten Tag besucht habe. Ich kann mich nicht gut an ihn erinnern, er war völlig unscheinbar. Brille, kurzes Haar, mittelgroß. Ungefähr in meinem Alter. Am ehesten hat er mich noch an einen Bibliothekar erinnert, aber ich habe mich so auf die Vorträge konzentriert, dass ich kaum auf ihn geachtet habe.«
»Hat er dich mal angesprochen?« Morio beugte sich vor. »Dich berührt? Oder irgendetwas, das du bei dir hattest?«
Nerissa schob sich einen Löffel Chili in den Mund und tippte mit der angebissenen Brotscheibe nachdenklich auf ihren Tellerrand. »Weißt du, jetzt, wo ich darüber nachdenke – ja, das hat er. Später am ersten Tag, als ich in einen Aufzug gestiegen bin, hat er sich noch mit hineingedrängt. Der Aufzug war voll – es müssen ungefähr zehn Leute da drin gewesen sein –, und er hat sich neben mich gedrängt. Und dann hat er kurz geschwankt und sich an meiner Schulter abgestützt. Er hat sich entschuldigt, und ich habe mir nichts weiter dabei gedacht. Ich war nur froh, dass er mir nicht an den Hintern gegrapscht hat.«
»Ich wette, er hat dich ausspioniert.« Morio warf Shade einen Blick zu. »Die sammeln sicher Informationen über uns, genau wie wir über sie. Mit
sie
meine ich Gulakahs Leute.«
»Ich glaube, da hast du recht«, sagte Shade. Er wandte sich Nerissa zu. »Du sagst, du hast ihn
Weitere Kostenlose Bücher