Vampirsaga 02 - Honigblut
doch ihn nicht wirklich angesehen, da der Junge mit Maeves Genehmigung im Halbschatten des Raumes herumlungerte und zur besseren Tarnung schwarze Kleidung trug.
Kein cooles, stylishes Schwarz, wie Xylos jetzt feststellte, sondern ein staubiges. Einen staubigen schwarzen Anzug von der Gattung: Dadrin-werden-Menschen-beerdigt. So, wie der Vampir aussah, war er der Beerdigte gewesen.
Trotz dieses ersten Eindrucks war der Blick des Jungen so vertrauensvoll, dass es Xylos beinahe schmerzte. Ohne Arglist oder Argwohn sah der junge Vampir in eine Welt, in der er nie Leid oder Entbehrung erfahren oder Betrug und Verrat kennengelernt hatte. Und so konnte Xylos, selbst ohne es zu wollen, in dem naiven jungen Mann lesen wie in einem offenen Buch.
Seit erst drei Jahren war der andere ein Vampir – und versuchte verzweifelt, sein altes Leben weiterzuleben: Er studierte immer noch Jura – jetzt als Fernstudium – und lebte in einer WG. Einer Vampir-WG?! Iiiikh! Bei der Vorstellung musste sich Xylos ein Jennifer Schreiner Honigblut Lachen verkneifen. Der Versuch war so skurril, dass er bei aller Verzweiflung noch komisch war – und so wenig von Erfolg belohnt. Eltern und Schwester hatten sich immer weiter von dem Jungen entfernt. So als ahnten sie die Unstimmigkeit in dessen Wesen und reagierten auf einen leisen, unbewussten Lebenserhaltungstrieb, einen tiefen Instinkt.
Der kindliche Neuvampir litt sehr unter dieser Zurückweisung und fragte sich, ob seine Entscheidung für ein Vampirdasein ein Fehler gewesen war.
Ist das echt eine Frage? Xylos schüttelte den Kopf. Freiwillig unsterblich? Selber schuld!
„Andromedos!“, stellte sich der Junge vor. Andromedos? Bestimmt sein echter Name! Xylos grinste, und der Junge nahm das als Anlass, ihm seine Hand zu reichen. Xylos starrte auf sie wie auf einen Fremdkörper. Dann entschied er sich dafür, sie zu schütteln und sich ebenfalls vorzustellen.
„Xylos!“
Für einen Moment sah der Vampircallboy Ehrfurcht in den Augen des Jungen aufflackern und versuchte angestrengt, nicht dessen Empfindungen und Gedanken aufzuschnappen.
„Wer ist es dieses Mal?“, unterbrach Maeve. In ihrer Stimme schwang leises Amüsement mit, so als sei sie dankbar für die Abwechslung in ihrem Leben. Selbst wenn die Abwechslung in Form einer Rebellion auftauchte.
Wahrscheinlich ist sie es wirklich!, dachte Xylos.
„Meine Königin!“, Hasdrubal neigte den Kopf, wie um seinen Respekt auszudrücken und eine Einleitung in die schlechte Nachricht zu finden „Es werden von Nacht zu Nacht mehr Rebellen. Es scheint eine Vampirseuche zu sein, dir den Befehl zu verweigern.“
Maeve schenkte Hasdrubal ein sanftes Lächeln, um welches Xylos den alten Vampir beneidete. Er verkürzte den Einstieg: „In Prag haben sich zwei Vampire zusammengeschlossen und eine eigene Armee erschaffen, mit der sie die Herrschaft über Tschechien übernehmen wollten.“
Hasdrubal schnaubte verächtlich. „Sie waren noch sehr jung und wussten nicht um die Fähigkeiten, die nur das Alter oder ein alter Schöpfer einem Vampir verleihen kann.“ Sein Blick wurde nachdenklich. „Wenn es ein Ältester gewesen wäre …“
„Eben!“, bestätigte Xylos unterbrechend.
Xylos und Hasdrubal tauschten einen Blick, der zum ersten Mal gegenseitiges Verständnis ausdrückte. Wenn ein Ältester eine Armee erschaffen würde … Xylos ließ dieser Vorstellung einen Moment lang freien Lauf, bevor er seine Fantastereien wieder einfing, und selbst Maeve schien einen Moment zu überlegen und die Vorstellung einer fähigen Vampirarmee nicht zu genießen. Nur der junge Vampir wirkte verständnislos, hatte keine Ahnung davon, wozu ältere Vampire fähig sein konnten.
„Nemesis!“, verkürzte Xylos das ganze Ausmaß des Desasters auf einen Namen.
„Früher oder später verraten sie einen immer“, murmelte Maeve. Die Enttäuschung über den Verrat eines ihrer Vertrauten hatte sie tief getroffen, doch Xylos war sich nicht sicher, ob ihre Worte nicht in Wahrheit ihm und seinem Lebensmotto galten.
„Maeve, du solltest ihnen ihre Ketten lassen – und die Macht über Frauen“, meinte Hasdrubal. Sein Tonfall war sanft und beschwichtigend, so als hätten sie diese Diskussion schon länger geführt, als dem alten Vampir lieb war. Jennifer Schreiner Honigblut
Trotzdem krümmte sich Xylos innerlich. Er hatte noch nie erlebt, dass der Alte anderer Meinung war als Maeve. Oder zumindest
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