Vampirsaga 02 - Honigblut
wirklich nichts, oder?!“ In Hasdrubals Stimme lag ein seltsames Zögern, das Xylos nicht deuten konnte.
„Nein!“
„Keine von ihnen?“, hakte der alte Vampir nach.
„Keine von ihnen!“ Xylos wunderte sich darüber, dass seine Stimme entschuldigend klang. Beinahe so, als rechtfertige er sich. Er ärgerte sich über dieses Gefühl, und aus dem Ärger heraus stellte er eine Frage: „Wieso ist deine Kette stets leer gewesen?“
„Weil alles andere Selbstbetrug gewesen wäre. Wenn man liebt, liebt man, ob mit Kette oder ohne.“
Normalerweise hätte Xylos über den Satz gelacht, doch bei Hasdrubals aufrichtigem Gesichtsausdruck blieb ihm das Lachen im Halse stecken, und als der Alte betrübt hinzufügte: „Aber die Liebe scheint mich nicht zu mögen.“, fühlte sich Xylos endgültig kindisch.
„Siehst du! Bedingungslose Liebe ist auch einer der Gründe, warum ich die Ketten zurückfordere“, meinte Maeve. „Entweder liebt man ganz oder gar nicht!“
Xylos lief ein Schauder über den Rücken. Aus Maeves Mund klang die allgemeine Lebensweisheit wie eine Prophezeiung. Schließlich wusste er, dass Maeve bereits einmal ganz geliebt hatte – und deswegen beinahe gestorben war.
„Ganz oder gar nicht!“, wiederholte Hasdrubal und sah die Königin an. Für Sekunden hatte Xylos das Gefühl, dass zwischen ihnen eine Kommunikation stattfand, die ihn ausschloss.
Als Hasdrubal schließlich zuerst wegsah, konnte Xylos den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht einschätzen. Ist er verbittert? Xylos hatte schon immer den Verdacht gehabt, dass der alte Vampir eine Schwäche für die Königin hatte. Doch nun wirkte Hasdrubal mit seinen glänzenden Spiegelaugen seltsam müde und ausgelaugt. Hat ihn schon der bloße Augenkontakt mit Maeve Kraft gekostet?
Xylos konnte beinahe zusehen, wie der alte Vampir sich zusammenriss und sein Wesen zusammenhielt. Der Eindruck der plötzlichen Müdigkeit verflog wie eine Einbildung. „Ich denke, den Vampiren die Ketten zu lassen, würde die ersten Jennifer Schreiner Honigblut Spannungen beseitigen und uns helfen, uns neu zu organisieren“, behauptete der Alte und kam wieder auf das ursprüngliche Thema zurück.
„Und ich denke, dass jeder Tag, an dem die Frauen keine Gefangenen mehr sind, ein guter Tag ist“, meinte Xylos. Er brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, dass es sein Mund war, der die Worte gebildet hatte, und war ebenso überrascht wie die anderen drei.
Hasdrubal starrte den jüngeren Vampir an. Er wurde aus ihm einfach nie ganz schlau. Sobald er sich eine Meinung über Xylos Charakter gebildet hatte, tat der Callboy etwas, was alles änderte: Er verriet die Hexe, von der er abhängig zu sein schien, um einer anderen zu einem anderen Vampir zu verhelfen, obwohl er sie doch selbst besitzen wollte. Sonst egoistisch wie ein Gott gab er sich selbst auf, um die Königin zu nähren, und jetzt verzichtete er freiwillig auf das, was Hasdrubal als Xylos Religion eingestuft hatte.
Und die Königin? Die Königin war ein Problem für sich. Hatte er sie akzeptieren und lieben können als sie wahnsinnig war, brachten ihr klarer Blick und ihre Schönheit nun die Schmerzen zurück, die er all die Jahrhunderte verdrängt hatte. Den Verlust und die Schuldgefühle.
Er fühlte sich schwach und zerrissen, so, als kehrte sich das Alter gegen ihn, als saugte die Zeit nun an seiner Kraft und seiner Entschlossenheit. Die Schwäche machte ihn unsicher und ließ ihn sich wieder menschlich fühlen. Verletzlich und sterblich.
Die Schwäche erinnerte ihn daran, wie es früher gewesen war, obwohl er gedacht hatte, diese Gedanken und Empfindungen seien Vergangenheit. Nun waren sie wieder da, erinnerten ihn an sein Leben vor dem Tod. An die Kriege und Kämpfe, an Essen, Trinken und Liebe.
Hasdrubal schüttelte den Kopf, um die Gedanken loszuwerden.
Es erinnerte ihn an noch etwas, doch diese Erinnerung versteckte sich hinter den Bildfragmenten seiner aufgezwungenen, politisch motivierten Ehefrau. Nicht greifbar blieb das Wissen vage, ließ sich nur vermuten und hinterließ einen Nachgeschmack von etwas Wichtigem, was nie hätte vergessen werden dürfen.
„Lasst ihr uns bitte allein?“ Die Bitte der Königin riss Hasdrubal aus seinen Gedanken.
Die Wut, die er mit einem Mal in sich spürte, war so heiß und verzehrend, dass sie ihn ablenkte und zu einer neuen Frage trieb: Bin ich wütend auf Maeve, weil sie mich aus ihrem Leben
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