Vampirsaga 02 - Honigblut
wie ihr Spiegelbild. Sie kommen nie wieder. Nur die Tränen kamen, spülten die Einsamkeit und Verzweiflung in ihr nach oben, die sie in sich eingeschlossen hatte, und die nun einen neuen Ausweg suchten.
Sofia würde nicht weinen. Sie weinte nie. Der Gedanke bewirkte das Gegenteil. Melanie hatte nie gelernt, Zorn aufzubauen um sich zu schützen, nie den Widerstand aufgebracht und den Kampfgeist, den ihre Schwester besaß. Sofia wäre gar nicht erst in diese Situation gekommen. Sie hätte gekämpft.
Doch wogegen hätte ich kämpfen sollen? Der Schock der nachglühenden Orgasmuswellen saß noch zu tief in ihrem Körper, als dass Melanie sich selbst hätte anlügen können. Xylos war sanft gewesen, zärtlich, leidenschaftlich und sehr, sehr gut. Natürlich hatte er viele Jahrhunderte Zeit gehabt, seine Kunst zu perfektionieren. Er war trainiert darin, Frauen alles zu nehmen, jede Verteidigung und jeden Schutz, bevor er ihre Welt in tausend kleine Traumscherben zersplittern ließ.
Sie hatte es gewusst, hatte diesen Teil seines Wesens bei ihrer Umwandlung gesehen und akzeptiert. Doch was sie in seinen Augen gelesen hatte, kurz bevor er sie ans Bett gefesselt hatte, war etwas anderes gewesen: Grausamkeit. Jennifer Schreiner Honigblut
Er hat gesagt, er sperrt dich zu deinem Schutz ein, und es ist die Wahrheit gewesen. Sie versuchte sich an seinen Worten festzuhalten und zu beruhigen, doch die Wahrheit entglitt ihr.
Aber er hat nicht gesagt, dass er wiederkommt, oder? Die Welt kippte, und die Leere war plötzlich wieder da, der Abgrund, der in ihrer Seele klaffte, und der sie stets gelähmt und betäubt hatte.
Dieses Mal lähmte und betäubte er nicht, war gnadenlos und stieß sie in den Schmerz, die Angst und die Verlassenheit. Genauso intensiv wie an dem Tag, an dem sie alles verloren hatte. Ihr entsetzter Schrei verhallte ungehört in der Kammer, bevor der Abgrund sie schluckte. Jennifer Schreiner Honigblut
KAPITEL 15
Xylos starrte durch die Dunkelheit auf die hell erleuchtete Wohnung des Jungvampirs, der sich selbst den Vampirnamen Als-wären-wir-in-einem-schlechten-Film Andromedos gegeben hatte.
Die Trauer und der Kummer über einen Verlust hingen um den Jungen wie ein übler Geruch. Xylos hatte exakt dieselbe Aura bereits einmal gesehen: Millisekunden bevor die brennende Vampirfackel an ihm vorbeigeflogen war.
Der Callboy fragte sich, was einen Vampir so schwer treffen konnte, dass er bereit war, sich buchstäblich in Luft aufzulösen. Selbst als er sich konzentrierte und seine geistigen Fühler ausstreckte, stieß er nur auf allumfassende Verlorenheit. Etwas, mit dem er bei Melanie gerechnet hatte – nicht aber bei Philip. Einem Jungen, der noch sein ganzes Vampirleben vor sich hatte.
Xylos wandte sich den Mitbewohnern Philips zu und verharrte über einer schmerzenden Wunde: Der Verkehrsunfall, an dem vielleicht niemand die Schuld hatte – nur das Schicksal. Philip hätte seine Eltern niemals retten können.
Aber da war noch mehr. Eine Unsicherheit, die sich in den Köpfen der jungen Vampire festgesetzt hatte, und die direkt hinter ihrem Bewusstsein lauerte wie ein Schleier, der die Welt in einem anderen Licht zeigte, eine Ahnung, die alles Erlebte verblassen ließ.
Xylos blinzelte und konzentrierte sich noch mehr. Die gesamten Vampire der WG standen auf einer der zwei Schwellen. Die erste Hürde war die, vor der AndromedosPhilip sich befand: Das Loslassen seines alten Lebens. Man musste sich von den Menschen trennen, die man geliebt hatte, denn irgendwann würden sie die Veränderung bemerken – oder eben, dass man sich nicht mehr veränderte. Dieser Schritt war für viele Vampire eine Qual. Bislang wichtige emotionale Bindungen wurden bedeutungslos und durch Ewige ersetzt.
Der zweite Schritt war das Akzeptieren der Welt: Die Welt veränderte sich, wurde moderner. Kriege zogen über Länder und verschwanden wieder. Katastrophen geschahen und Sprachen wurden zu Erinnerungen. Geschichte geschah, und man stand außerhalb.
Xylos konnte sich nicht daran erinnern, dass das Ablösen von der realen Weltgeschichte ihm Probleme bereitet hatte. Er war dankbar gewesen für die Chance, hatte Maeve all seine Liebe und seine Hoffnung geschenkt, Emotionen, mit denen sie nichts mehr anfangen konnte, aber akzeptiert hatte. Sie hatte ihn unsterblich gemacht. Seine Welt und sein Leben war ohnehin Tage zuvor zu einem Scherbenhaufen zerfallen.
Doch diese Stimmung in der Vampir WG
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