Vampirzorn

Kurtsuzov-Prospekt – ich nehme an, das erleichterte Ihren Leuten die Überwachung der ausländischen Teilnehmer und machte es einfacher, an ihre Fingerabdrücke und sonstige Einzelheiten zu gelangen.«
    Andropow nickte. »Ja, wir kriegten sie, glaube ich, alle. Ein paar Dutzend, zusätzlich zu den Zig-Tausenden, die bereits aktenkundig sind.«
    »In der Tat! Und sollten Ihre Leute es nicht geschafft haben, dann meine ...«
    Abermals geriet Andropows Gesicht ins Blickfeld, und sein – missbilligendes – Stirnrunzeln war nicht zu übersehen. Doch ehe er etwas sagen konnte, fuhr Tzonov fort: »Die Tagung ging aus wie das Hornberger Schießen. Es waren zu viele Scharlatane da, die Ergebnisse für die parapsychologische Forschung waren gleich null. Allerdings erfuhren wir, dass es in China zahlreiche begabte Nachwuchstalente gibt, dass die Briten aller Wahrscheinlichkeit nach führend auf diesem Gebiet sind und dass die Tibeter, von denen wir glaubten, sie würden mit den Chinesen zusammenarbeiten, irgendetwas ... vorhatten.«
    Die Tagung ging also vorüber, und ich erstattete Breschnew Bericht. Mittlerweile interessierte er sich aber weit mehr für die russischen Erfolge bei den Olympischen Spielen und bekam bei jeder Niederlage Tobsuchtsanfälle! Der Boykott der Amerikaner hatte ihn regelrecht in Wut versetzt. Ich nehme an, um diese Zeit machte sich bereits sein schleichender gesundheitlicher Verfall bemerkbar. Aber wie dem auch sein mochte, er sprach mir ein Lob für meine Bemühungen aus, ehe er mich zurück zu meinem Studium entließ ...«
    »Junger Mann«, warf Andropow ein, als Tzonov einen Moment innehielt, »ich hoffe, das Ganze führt uns noch irgendwohin. Meine Zeit ist begrenzt, und ich habe Wichtigeres zu tun!«
    »Keine Sorge!«, versicherte ihm sein Gegenüber und redete weiter: »Ich habe einen Lokalisierer, einen Mann, dessen besondere Fähigkeit darin besteht, spaltbares Material zu entdecken. Als er unter General Borowitz diente, machte er die Flugrouten amerikanischer Bomber ausfindig und verfolgte die Bewegungen der mobilen Raketen der Amis und der britischen Atom-U-Boote in den Gewässern auf der ganzen Welt. Darüber hinaus behielt er das nukleare Potenzial der NATO in Westdeutschland im Auge. Sein Talent hing im Wesentlichen von der kritischen Masse spaltbaren Materials ab, auf das er ... ansprach? Die vielen Trident-Raketen im Bauch eines Atom-U-Bootes beispielsweise waren vergleichsweise einfach aufzuspüren, hingegen eine einzelne Testbombe ausfindig zu machen, war weitaus schwieriger. Zu General Borowitz’ Zeit wurde er auf ein Munitionsdepot in Chungking aufmerksam, in dem zahlreiche Bomben gelagert waren, und zeichnete dessen Größe auf. Er führte Unterlagen über zahllose weitere solcher Depots weltweit.
    Nach der Tagung jedoch irritierte ihn irgendetwas. Achtzehn Monate lang machte er sich regelrecht Sorgen. Er hatte die Tagung nicht besucht, weil er sein Talent dort ohnehin nicht hätte anwenden können. Doch nun zog ihn etwas zu einem bestimmten Bezirk der Stadt, dieser Stadt, Moskau – oder vielmehr, er fühlte sich geradezu davon abgestoßen ...«
    Als Tzonov wieder eine Pause einlegte, nickte Andropow ihm zu und meinte: »Fahren Sie fort, ich bin ganz Ohr!«
    »Schließlich kam der Lokalisierer mit seinem Problem zu mir«, sagte Tzonov. »Das war ungefähr drei Monate, nachdem wir beide, Sie und ich, einander begegneten. Mittlerweile hatte sich seine unerklärliche Abneigung gegen den Stadtbezirk zu einer nahezu krankhaften Obsession ausgewachsen.«
    »Um welchen Bezirk handelt es sich?«, warf Andropow ein.
    »Um den Sivtsev-Vrazhek-Distrikt, Genosse ...«
    »Erzählen Sie weiter!«
    »Ich ging mit ihm zum Hotel Zentralkomitee, und wir standen davor und sahen uns das Gebäude an. Allein die Tatsache, sich dort aufzuhalten, war für den Mann eine schreckliche Qual! Er wäre überall lieber gewesen als dort . Was das zu bedeuten hatte, lag auf der Hand. Aber es würde nicht leicht sein, einen Beweis für unseren Verdacht zu finden, jedenfalls nicht, ohne eine Panik, und zwar eine gigantische, auszulösen. Zum Glück hatte ein Onkel von mir aus Krasnoyarsk seinen Besuch angekündigt. Er hatte Verbindungen, und es gelang ihm, in dem Hotel ein Zimmer zu buchen.«
    »Kommen Sie zur Sache!« Andropow presste die Handflächen auf den Schreibtisch. Er hatte das Gesicht vorgeschoben, und seine starrenden Augen waren nun deutlicher zu sehen.
    »Erst einmal im Hotel war es ein Leichtes,