Vampirzorn
wegen deiner Frau rufe ich nicht an, Harry. Es geht um etwas anderes. Wir müssen miteinander reden – persönlich, meine ich. Und, Harry, es ist dringend!«
Nun, soeben hatte Harry noch im Sinn gehabt zu machen, dass er aus dem Haus kam, oder etwa nicht? »Reden?«, meinte er verbittert. »Du willst mit mir reden? Bloß reden?«
»Fürs Erste, ja!«
»Aber nicht über Brenda und meinen Sohn?«
»Nein ... es geht, wenn ich das so sagen darf, um weit mehr. Nimm es mir nicht übel, Harry! Aber nach dem, was ich dir gerade gesagt habe, sollte dir klar sein, dass wirklich viel auf dem Spiel steht.«
»Was, wenn mich das nicht interessiert?«
»Dann würde ich dir entgegenhalten, dass es dich besser interessieren sollte. Diesmal geht es nicht allein um das E-Dezernat, Harry. Es könnte um alles gehen ...«
Alles war eine ganze Menge, vor allem wenn Darcy Clarke dies sagte. »Und dabei könntet ihr meine Hilfe brauchen?«
»Vielleicht«, entgegnete Darcy unsicher. »Es ist aber auch durchaus möglich, dass du uns brauchst ...«
Harry überlegte kurz, ehe er erwiderte: »Es gibt einen Zug ab Waverley Station, er fährt gegen Mittag. Den werde ich nehmen.« Damit gab er nicht einfach Darcys Argument oder dessen versteckter Drohung nach, sondern ... wer vermochte das schon zu sagen? Vielleicht hatte das E-Dezernat ja ein paar Antworten auf seine unzähligen Fragen.
»Den Zug?« Darcy schien überrascht, und Harry war auch klar, weshalb. Aber diese Sache , sein Fimmel, gewann allmählich Oberhand über ihn.
»Den Zug, ja!«, fuhr er Darcy an. »Oder hast du gedacht, ich würde laufen?« Damit legte er den Hörer auf ...
Kurz vor fünf Uhr nachmittags fuhr sein Zug in King’s Cross Station ein, aber bereits seit Darlington befanden sich Männer des E-Dezernats beziehungsweise vom Sicherheitsdienst an Bord. Harry sah sie und wusste sofort Bescheid, sagte jedoch nichts. Sie nahmen in seiner Nähe Platz, allerdings nicht zu nah, und behielten ihn lediglich im Auge. Kaum jemandem wäre dies aufgefallen, aber Harry hatte oft genug mit solchen Leuten zu tun gehabt. Er hatte also eine Eskorte! Zu seinem Schutz? Ersteres war offensichtlich, das Zweite wahrscheinlich. Aber wovor sollten sie ihn schützen? Es musste sich ja um etwas wirklich Großes handeln, wenn man Darcy Clarke folgte.
Darcy, der Leiter des E-Dezernats, holte ihn persönlich in King’s Cross ab und fuhr mit ihm in die Zentrale im Herzen der Innenstadt. Und dort befanden sie sich nun ...
Entgegen all seinen Bemühungen war Darcy furchtbar nervös. Er hatte Probleme zur Genüge, und anscheinend hatten sie alle auf die ein oder andere Weise irgendwie mit dem Necroscopen zu tun. Er hätte ihn natürlich auch zu Hause beobachten lassen können, doch schon vor langer Zeit hatte er Harry versprochen, sich aus seinen Angelegenheiten und auch aus denjenigen seines Sohnes, sollten sie diesen je wiederfinden, herauszuhalten, und er hatte nicht vor, sein Wort zu brechen. Da Harry ein »Freund« des Dezernats war, schien ihm dies die beste Möglichkeit: eine Aussprache von Angesicht zu Angesicht.
Im Grunde gab es gar keinen anderen Weg. Beziehungsweise es gab einen, doch den wollte Darcy um jeden Preis vermeiden. Die einzige andere Möglichkeit hätte darin bestanden, den zuständigen Minister darüber zu informieren, dass Harry unter Umständen in gewisse Dinge verwickelt war, sich zurückzulehnen und dem Minister die Entscheidung zu überlassen.
Doch in der Vergangenheit hatte der Umgang gerade mit dieser Regierungsbehörde Darcy einiges gelehrt, zum Beispiel dass sie ... nun ja, nicht immer sehr geschickt vorging, um es einmal gelinde auszudrücken. Ihm war zwar durchaus bewusst, dass auch Unschuldige, wenn es um die nationale Sicherheit ging, mitunter entbehrlich sein konnten. Aber der Necroscope Harry Keogh würde nicht zu diesen Leuten gehören, jedenfalls nicht solange er, Darcy, das E-Dezernat leitete.
Das E-Dezernat war in oder vielmehr über einem Hotel untergebracht. Der Aufzug an dessen Rückseite hielt in einer zusätzlichen Etage, dem obersten Geschoss, der Zentrale des E-Dezernats. Ben Trask ging in dem langen Korridor auf und ab, als sich die Fahrstuhltüren mit einem Zischen öffneten. Harry und Darcy traten hinaus, und Trask kam sofort auf sie zu. Sein unbeholfener Gruß »Hi, Darcy, Harry!« hallte in dem Gang wider, dessen Büros zu mehr als der Hälfte verlassen waren. Es war nach fünf, und die meisten von Darcys Mitarbeitern waren bereits
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