Vampirzorn
ein Blitz verschwand es unter Antonios Tür und war außer Sicht. Da sie um ihren Gebieter fürchtete – und auch um sich selbst, wenn sie nichts unternahm –, klopfte sie an.
Poch! Poch! Poch! Zaghaft zunächst; das Pochen, das Antonio in seinem Traum ignoriert hatte. Doch als niemand antwortete, klopfte sie erneut, lauter diesmal, anschließend drehte sie den Türknauf und trat ein.
Obwohl dieser Flügel der Stätte nach Westen hin, weg von der Sonne, lag, waren die schweren Faltenvorhänge an Antonios Fenstern zugezogen. Der ganze Raum war abgedunkelt, es war nahezu völlig finster, kein Tageslicht drang herein. Doch auch im Dunkeln sah Katrin fast ebenso gut wie eine Katze. Und was sie sah ...
Antonios Schlafstatt bestand aus massivem Eichenholz, ein antikes Himmelbett mit hauchdünnen Schleiern, die auf der Katrin zugewandten Seite an die Pfosten zurückgebunden waren. Antonio lag auf dem Rücken, nackt unter einem einsamen schwarzen Leintuch, das ihm bis zum Brustkorb reichte. Es war seine einzige Decke. Noch schlief er, stand aber bereits kurz vor dem Aufwachen. Unruhig wälzte er sich, leise vor sich hin stöhnend, hin und her. Kalter Schweiß glänzte auf seiner Stirn und seinen Armen, und die feinen Perlen spritzten nach allen Richtungen, als er den Kopf hin- und herwarf.
Als sich auf dem Boden neben dem Bett etwas regte, zuckte Katrin zusammen, und sie erschrak abermals, als sich das Leintuch über Antonios unruhiger Gestalt in einer sonderbar fließenden Bewegung bauschte. Ihre gelben Augen huschten von links nach rechts, unfähig zu begreifen, was sie da sah. Vielleicht wollte sie es auch einfach nicht wahrhaben. Denn das schlangenartige Wesen ... war in Wirklichkeit gar keine Schlange!
Die alte Hexe wusste, was die beiden Brüder in der Grube tief unter der Manse Madonie verborgen hielten, und ihr war klar, dass es sich dabei um deren Vater handelte. Und ihr war ebenfalls klar, dass sie hier etwas Ähnliches vor sich hatte – nur dass es nicht ganz so gewaltig und auch nicht völlig außer Kontrolle war.
»Wie der Vater, so der Sohn!«, hauchte Katrin, während sie ganz leise zur Tür zurückwich. Allerdings nicht leise genug.
Es waren ziemlich viele – Tentakel? Während sie sich peitschend umherwanden und unter das schwarze Laken an ihren Ursprungsort zurückzogen, wurde Antonio wach und sah, spürte womöglich noch die letzten Ausläufer der glitzernden Substanz, die, der Zunge eines protoplasmischen Chamäleons gleich, unter seiner von einem unheimlichen Leben erfüllten Bettdecke verschwand. Das Tuch beiseitereißend, bekam er mit aus den Höhlen quellenden Augen mit, wie sie sich in ihn zurückzogen!
Sein Hals war trocken. Er wollte schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Er hatte diesen Traum auch zuvor schon gehabt, viel zu oft, und es war von Mal zu Mal schlimmer geworden, doch noch nie hatte er es tatsächlich vor sich gesehen. Nun wusste er, dass es Wirklichkeit war. Allerdings ...
... war er nicht der Einzige, der davon wusste. Antonios Entsetzen schwand und wich seiner von »Natur« aus ruhigen, eiskalten Berechnung. Der Logik der Wamphyri, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Katrin stand da wie ein dürres Reisigbündel, das er mit den Fingern zerbrechen konnte. »Die Tür«, flüsterte er mit heiserer Stimme, indem er sich im Bett aufsetzte. »Mach’ die Tür zu, und dann komm her!«
Sie gehorchte – was sollte sie auch sonst tun? – und trat bebend neben sein Bett. Antonio nickte, in seinen Augen glomm ein blutrotes Feuer. »Was hast du gesehen?«
»Eine ... eine Maus!«, stieß die Alte krächzend hervor. »Etwas ganz Kleines, glaube ich, das unter deiner Tür durchkroch ...«
Er schüttelte nur den Kopf und lächelte ein grässliches Lächeln. »Nein, du hast mehr gesehen, nicht wahr?«
»Ja, mein Gebieter, ja ...«
Seufzend streckte er die Hand aus – sein Arm war lang, so unglaublich lang – und packte sie, noch während sie Anstalten machte, vor ihm zurückzuweichen, an der Kehle. »Katrin, ich habe teure Erinnerungen an dich. Als du fünfzehn warst, habe ich mit dir geschlafen, mein Bruder ebenfalls. Aber du warst unfruchtbar, vielleicht zu deinem Glück. Deinem Fleisch mangelte es an Wert, und nichts säte sich aus, rein gar nichts! Seitdem stehst du unter unserem Schutz und befindest dich in Sicherheit hinter diesen starken Mauern. Die Manse Madonie ist deine Zuflucht. Es wäre ... nun, ziemlich schade, solltest ausgerechnet du zur
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