Vampirzorn
Geist, müssen von diesen Anlässen herrühren, und die sind in seinen verborgenen Erinnerungen gespeichert.
Und daran dürfen Sie sich auf keinen Fall zu schaffen machen. (Abermals Harrys Mutter.) Das war nämlich der Grund für seinen Zusammenbruch.
Aber ... deshalb kam er doch zu mir!, widersprach Mesmer verblüfft. Außerdem habe ich vielleicht die Lösung für sein Problem. Diese Frau, die ich in seinem Geist sah! Ich weiß nicht, wie das möglich ist, aber ich müsste mich schon sehr irren, wenn ich ihr nicht früher schon einmal begegnet bin. Nur habe ich keine Ahnung, wie das möglich sein soll, denn das war vor fast einhundertsiebzig Jahren!
Oh, das ist schon möglich, entgegnete Harrys Mutter. Glauben Sie mir, es ist durchaus möglich.
Sir Keenan bestätigte dies. Verlangen Sie keine Erklärungen von uns, Doktor, aber Harry zeigte Ihnen ein paar unglaubliche Dinge, und wir könnten Ihnen noch weit mehr erzählen. Ebendies macht den Necroscopen aus, und es hätte ihn auch oft genug beinahe das Leben gekostet. Sie liegen richtig, genau dagegen kämpfen wir, und dieses Mädchen gehört dazu. Was wissen Sie über sie?
Während meines Aufenthalts in Paris, antwortete Mesmer, sagte mir eine Zigeunerin meinen Tod voraus. Ich war zwar nie abergläubisch, aber damals ... diese Frau hatte irgendetwas an sich. Sie sagte mir, ich würde 1814 sterben, und das ließ mir keine Ruhe. Später dann, im Sommer 1813, als ich wieder in der Schweiz war, bekam ich Besuch von einer jungen Frau. Sie sagte, ich hätte einmal mit ihrer Mutter gesprochen – einer Seherin der Szgany Mirlu! Die junge Frau hieß, wenn ich mich recht entsinne, Barbara Jane Mirlu; aber sie ließ sich lieber bei ihren Initialen rufen. Für die damalige Zeit eine merkwürdige Vorliebe.
Nicht unbedingt, gab Sir Keenan zu bedenken. Es gibt Leute, die einen falschen Namen annehmen, aber ihre ursprünglichen Initialen behalten, sei es aus einem Spleen heraus oder als Gedächtnisstütze oder auch aus einem gewissen Sinn für Beständigkeit. Wer unter falschem Namen reist, kann sich schon mal verplappern; dieser Gefahr entgeht man, indem man nur die Initialen verwendet.
Sie meinen, dass sie kriminell war? Entweder wollte Mesmer nicht ganz wahrhaben, was sie ihm da erzählten, oder er hatte noch nicht völlig begriffen. Doch dann fiel bei ihm der Groschen: Oh, nein! Jetzt verstehe ich, worauf Sie hinauswollen. Sie reden von jemandem, der viel zu lange lebt!
Ganz recht! , sagte Harrys Mutter grimmig. Mehr als hundert Jahre zu lang! Diese B. J. Mirlu ist heute noch am Leben, Doktor, und sie hat meinen Sohn hypnotisiert. Sie ist sein Problem! Er hat sich in sie ... verliebt! Diese Blockaden in seinem Geist ... die hat sie errichtet, damit er nicht ihre wahre Absicht durchschaut.
Dann müssen wir diese Blockaden eben entfernen, meinte Mesmer.
Aber das geht nicht, schrie Mary Keogh. Es ist, als bestünde Harry aus zwei Persönlichkeiten. Reißt man die Barrieren nieder, die diese Frau errichtet hat, wird der Zwiespalt ihn umbringen. Die Wahrnehmungsfähigkeit meines Sohnes hat so sehr gelitten ... Sie können sich nicht vorstellen, was er alles durchgemacht hat.
Bislang hat es ihn jedenfalls nicht umgebracht, warf Sir Keenan ein.
Aber wie lange soll es noch gutgehen?, fuhr Harrys Mutter ihn an.
Offensichtlich halten Sie nicht allzu viel von mir, murmelte Mesmer. Seine Worte waren an Mary Keogh gerichtet. Vergessen Sie nicht, dass Ihr Sohn – ein lebendiger Mensch – mit mir sprach und mir auch gewisse Dinge offenbarte! Bevor ich dem Necroscopen begegnete, hätte ich vielleicht daran gezweifelt oder es gar nicht erst geglaubt, aber das ist nun vorbei. Mehr noch, ich zweifle auch nicht länger an mir selbst, und dafür bin ich ihm dankbar. Und eines sage ich Ihnen: Obwohl Sie Ihre Befürchtungen hegen, kann ich vielleicht trotzdem etwas für ihn tun.
Mir scheint, wir schweifen ab, wandte Sir Keenan ein. Sie wollten uns von Ihrer Begegnung mit B. J. Mirlu im Jahr 1813 erzählen?
Ach, ja! , erwiderte Mesmer. Sie sagte, ich hätte ihre Mutter Jahre zuvor in Paris erfolgreich in Trance versetzt. Und nun wollte sie, dass ich das Gleiche bei ihr versuchte. Allerdings ohne irgendwelche Hilfsmittel, ohne besondere Umschweife, allein mit der Kraft meines Blickes, meines Geistes. Mir war zwar klar, dass in Wirklichkeit sie vorhatte, mich zu hypnotisieren – sie gebrauchte den Ausdruck »betören« –, aber ich probierte es dennoch. Ich betrachtete es als
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